Zur Entstehung der Datengrundlage

Das vorliegende Gedenkbuch bietet mit seiner umfassenden Datenbank eine Grundlage für die historische Bildungsarbeit und Erinnerungskultur, um jüdisches Leben im Saarland, besonders in Saarbrücken  - wo mehr als die Hälfte der saarländischen Juden lebte - nachzuvollziehen. Sie ermöglicht einen fundierten Einstieg für weitere detaillierte Einzelrecherchen.

Und dennoch müssen wir feststellen und weisen ausdrücklich darauf hin, dass Fehler leider unvermeidlich sind, insbesondere die doppelte Erfassung von letztlich ein und derselben Person. Deshalb gibt es die Möglichkeit, uns auf mögliche Fehler hinzuweisen und ergänzende oder korrigierende Informationen mitzuteilen.

Das Leben der Opfer hat in amtlichen Quellen bei Melde- und Standesämtern, Transportlisten des NS-Verfolgungsapparates und in Wiedergutmachungsakten über einen Zeitraum von gut 100 Jahren Spuren hinterlassen. Die Art und Weise der Erfassung von Namen und Daten durch die Bürokratie erfolgte dabei nicht fehlerfrei. Zudem veränderten Opfer ihren Namen. So wurde aus einem Hans ein Jean, viele nach Frankreich geflohene Jüdinnen und Juden französisierten mit der Emigration ihre Vornamen und behielten diesen veränderten Namen auch nach der Shoah bei. Geburtsorte, vor allem Orte in Osteuropa, weisen oft unterschiedliche Schreibweisen auf und sie sind aufgrund einer phonetisch anmutenden Schreibweise mitunter schwer zu lokalisieren. Sie wurden zudem von den Behörden häufig fehlerhaft erfasst. Eine Prüfung von Ortsnamensänderungen, bedingt durch diverse territoriale Verschiebungen in den letzten Jahrzehnten, wurde von uns angestrebt, eine vollständige Anpassung  wird indes nicht gegeben sein.

Auch die Schreibweise von Personennamen, Familien- wie Vornamen, vorwiegend ebenfalls aus Osteuropa, weist teilweise zahlreiche Varianten auf. Namen wurden eingedeutscht oder es liegen auch hier phonetische Schreibweisen vor. Namen wurden später zudem ebenso dem französischen, hebräischen oder amerikanischen Sprachgebrauch angepasst. Das führt zur Gefahr, Personen zu verwechseln oder doppelt zu erfassen. Gerade, um das zu vermeiden, sind Kontextinformationen und familiäre Beziehung zwingend erforderlich. In der Regel wurde in diesen Fällen der Schreibweise in den amtlichen Dokumenten während des Aufenthaltes im Saargebiet der Vorzug gegeben. Varianten werden zusätzlich aufgeführt. Bei der Erfassung können diese Unterschiede in den Quellen aber zu Fehlern führen. Diese Fehler können sich dann noch einmal zusätzlich auswachsen, wenn sie bei den familiären Beziehungen auftreten. Wir bitten dies zu entschuldigen und uns diese anzuzeigen. Wir hätten einen Teil unseres Projektes reduzieren können, um diese Fehlerquote massiv zu verringern, der Preis dafür wäre aber sehr hoch gewesen, weil viele Verbindungen nicht mehr nachvollziehbar wären und damit gerade unsichtbar werden würde, wie sehr die Shoah ganze Familien vernichtet hat. Und damit würde ein wesentlicher Teil des gewalttätigen Rassismus und Antisemitismus der NS-Diktatur verwischt werden. Gerade auch dieser Aspekt ist wichtig, um die Singularität der Shoah zu begreifen. Ganze Familien wurden ausgelöscht, viele Überlebende haben weite Teile ihrer Angehörigen verloren.      

Das Gedenkbuch der Jüdinnen und Juden im Saarland bietet Informationen zu knapp 20.000  Menschen. Diese Zahl mag zunächst sehr verwundern. Es handelt sich um Personen, die Opfer der NS-Verfolgung aufgrund ihres jüdischen Glaubens, ihrer sogenannten jüdischen Rasse oder enger familiärer Verbindungen zu Juden wurden. Berücksichtigt wurden  dabei "Saarländer“, in unserem Kontext sind das alle Menschen, die entweder im heutigen Saarland geboren sind oder mindestens ein Jahr im Saarland gelebt haben. Eine Differenzierung des Lebensweges dieser Menschen erscheint gleichwohl sinnvoll. Dazu gibt es das Feld Status, das zwischen folgenden Gruppen differenziert.

Verfolgungsbedingter Tod: Diese Gruppe umfasst Menschen, die durch direkte oder indirekte „rassische“ Verfolgung des NS-Regimes ums Leben gekommen sind, das heißt in vielen Fällen Ermordung oder körperliche Ausbeutung, die zum Tod führte. Es fallen hierunter auch Menschen, deren Leidensdruck so hoch war, dass sie sich der Verfolgung durch Suizid entzogen haben, aber auch beispielsweise Personen, die in der Emigration etwa im bewaffneten Widerstand gegen deutsche Besatzer gefallen sind.

Nicht verfolgungsbedingter Tod: Zahlreiche jüdische Emigranten starben im besetzten Frankreich, aber auch in der sogenannten „Freien Zone“, denn auch dort waren sie der Verfolgung ausgesetzt. Nicht wenige von ihnen waren bereits 1935 in einem fortgeschrittenen Alter verbunden mit gesundheitlichen Einschränkungen. Wenn sie aufgrund ihres Alters oder anderer nicht erstrangig verfolgungsbedingter Ursachen verstorben sind,  ist ihr Ableben nicht verfolgungsbedingt:  Ein „natürlicher Tod“ wird dann vermerkt, wenn die Quellen dies nahelegen (z.B. Aussagen der Hinterbliebenen oder ärztliche Gutachten in den Unterlagen des Landesentschädigungsamtes). Gleichwohl sind diese Menschen Opfer der NS-Verfolgung.

Überlebend: In den Entschädigungsakten finden sich zahlreiche Menschen als Antragsteller oder Zeugen, die das NS-Regime überlebt haben. Oft war es uns nicht möglich, deren Sterbedaten beispielsweise in Israel, den USA oder anderen späteren Wohnorten zu ermitteln. Es erscheint uns aber hilfreich, nachweislich Überlebende als solche kenntlich zu machen und von anderen Menschen abzugrenzen, die unter Umständen gleichfalls in einem Vernichtungslager ermordet wurden, wo uns aber bisher der Nachweis fehlt.

Nicht jüdisch: In den Anträgen als „Opfer des Nationalsozialismus“ und aus den Entschädigungsakten finden sich viele Menschen, die weder nach jüdischem Selbstverständnis noch nach den „rassischen“ Kriterien des Nationalsozialismus Juden waren. Darunter fallen vor allem die nichtjüdischen Partner aus Mischehen sowie die nichtjüdischen Elternteile bei sogenannten  „Mischlingen I./II. Grades“. Trotzdem wurden viele dieser Menschen Opfer. Eine Unterscheidbarkeit zu Jüdinnen und Juden sollte aber gegeben sein. Die Kennzeichnung als besondere Gruppe „nicht jüdisch“ erlaubt es auch späteren Forschern, hier gezielt die Lebenswege zu betrachten und Überlebenschancen abzuschätzen.

Kein hinreichender Saarlandbezug: Zuerst mag diese Gruppe in einem jüdischen Gedenkbuch für das Saarland unlogisch und deplatziert erscheinen.  Es gibt aber eine Reihe von jüdischen Menschen oder engen Verbindungen zu Jüdinnen und Juden, die die Voraussetzung der gewählten Definition Saarländer nicht erfüllen, gleichwohl haben sie einen Bezug zum Saarland und zur Gruppe der saarländischen Jüdinnen und Juden. Sie ergeben sich etwa durch Wanderungsbewegungen oder Einheiratung. Der Sinn dieser Gruppe liegt auch darin, kenntlich und verständlich zu machen, warum manche Personen keine Aufnahme in das Band der Erinnerung bzw. das Mahnmal auf dem Synagogenvorplatz in Saarbrücken am Platz der Erinnerung finden konnten, obwohl sie den Verfolgern zum Opfer fielen und wenigstens kurzzeitig im Saargebiet nachweisbar sind.

Hauptgrundlage der in der Datenbank enthaltenen biografischen Angaben bilden die im Landesarchiv befindlichen Akten des Landesentschädigungsamtes, kurz als LEA bezeichnet. Die Bestellnummer der Akte ist aufgeführt, so dass weitergehende Recherchen im Landesarchiv einfach durchzuführen sind.

Diese LEA-Akten enthalten Informationen zu den Opfern und auch zahlreiche Angaben zu überlebenden Angehörigen, die nach 1945 den Antrag gestellt haben. Aus den LEA-Akten erfasst wurden:

Name, Vorname, bei Frauen auch Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort im Saarland, Todesdatum, Todesort,  sowie kurze Angaben zum Lebenslauf.

Unbedingt darauf hingewiesen werden muss, das es sich bei der Angabe der Sterbedaten häufig um das von der Verwaltung nach 1945 angenommene Todesdatum bzw. einer vom Amtsgericht festgestellten Todeserklärung handelt. Dabei wurde meist von der Verwaltung das Todesdatum auf den 8. Mai 1945 festgesetzt. Das tatsächliche Todesdatum ließ sich für die Verwaltung nach 1945 nicht präzise ermitteln. Das wohl eher unwahrscheinliche aber offiziell gesetzte Todesdatum 8. Mai 1945 war im  Sinne der Opfer. Ein möglichst spätes Todesdatum lag deshalb im Interesse der Antragsteller, da es den Zeitraum verlängerte, für den im Falle einer Inhaftierung oder wegen des Zwangs zum Tragen des „Judensterns“ Entschädigungsanspruch bestand.

Wo immer in den Akten vor allem durch die Auskünfte des International Tracing Service (ITS) des Roten Kreuzes in Arolsen oder des Minstère des Anciens Combattants et Victimes de Guerre frühere Daten der Einlieferung in ein Konzentrationslager oder der Deportation mit einem der Züge in ein Vernichtungslager ersichtlich waren, wurden diese als Todesdatum für die Tabelle übernommen, aus der sehr großen Wahrscheinlichkeit heraus, dass die Personen bei Ankunft sofort für die Vernichtung selektiert wurden.

Für alle Personen mit Wohnsitz oder Schädigungsort Saarbrücken wurden die alten Meldekarteien im Stadtarchiv herangezogen, um Personen zu identifizieren, Angaben zu verifizieren oder zu vervollständigen und insbesondere Verwandtschaftsverhältnisse zu klären. So konnten die Angaben um Beruf, Adressen während des Aufenthalts in Saarbrücken, Daten zu Eheschließungen, Scheidungen, Sterbefällen ergänzt werden.  Diese Angaben sind im Feld VITA aufgeführt.

Sofern möglich, wurden ergänzend die Geburts-, Heirats- und Sterberegister im Stadtarchiv herangezogen. Für andere saarländische Gemeinden konnte diese Ausführlichkeit der Datenerfassung bisher nicht geleistet werden, für einige sind keine Meldedaten überliefert.

Dr. Rupert Schreiber (Landesdenkmalamt Saarland) steuerte die Erkenntnisse seiner in vielen Jahren zusammengetragenen Dokumentation der jüdischen Friedhöfe bei, sowie unzählige Auskünfte aus Geburts-, Heirats- und Sterberegistern auch außerhalb des Saarlands und Deutschlands, die gesammelten überlieferten Transportlisten aus den Sammel- und Durchgangslagern ab Drancy und Malines und anderen, sowie seine Kenntnis der einschlägigen lokalhistorischen Literatur zum jüdischen Leben im Saarland. Mittels des von ihm gewährten Zugriffs auf seine erstellten genealogischen Informationen konnten der Tabelle zahlreiche weitere Personen mit Lebensstationen (Geburt, Wohnsitz, Heirat, Tod etc.) hinzugefügt werden und Beziehungen zwischen schon erfassten Personen geklärt werden. Insbesondere konnte das bisher ungewisse Schicksal zahlreicher Personen durch belegte Ereignisse nach 1945 erhellt werden.

In einer späteren Arbeitsphase trug der Trierer Lokalhistoriker und Familienforscher Stefan Roos eine erhebliche Zahl an Korrekturen und Ergänzungen zum Datenbestand bei.

Systematisch eingearbeitet wurden auch die Angaben aus dem Gedenkbuch des Bundesarchivs und in Einzelfällen weiterer Gedenkbücher und Mémorials sowie unzählige Einzelquellen. Auch Gedenkblätter in der Datenbank von Yad Vashem wurden mit herangezogen. Sie beinhalten jedoch meist nur rudimentäre Angaben,  da sie in der Regel aus jahrzehntelang zurückliegender persönlicher Erinnerung geschrieben und eingereicht wurden. Alle Angaben in der Datenbank, die nicht aus der ersterfassten Quelle, also LEA, stammen, sind soweit es möglich ist, durch ein Kürzel gekennzeichnet.  Alle Abkürzungen zu den Quellen werden erläutert.

Vielleicht wird abschließend auch aus diesem Kontext deutlich, dass der nachvollziehbare Anspruch auf ein Gedenkbuch frei von Irrtümern zwar wünschenswert, aber an den derzeitigen Möglichkeiten leider vorbeigeht.