Dagobert (gen. Daddy) Pincus
Vita
(RS) Heirat 24 Dec 1927 Berlin, Deutsches Reich: Agnes Martha Hiepe (1893–)
Notes
(RS) Vater Leopold Pincus 1857–1918
Mutter Julie Pincus geb. Glass 1864–1942
Schwester Elsa Pincus 1889–1962
Ehefrau Agnes Martha Pincus geb. Hiepe 1893–
keine Kinder
Biography
(bio) Beide Kinder besuchten das Friedrichs Gymnasium in Berlin. Während sich Dagobert danach für das Studium der Jurisprudenz entschied, ließ sich Elsa in Kunstgeschichte und Musikwissenschaften ausbilden. (...)
Dagobert machte eine steile Karriere. Er wurde 1913 als Anwalt in Berlin akkreditiert, und 1924 wurde ihm ein Notariat übertragen. 1927 heiratete Dagobert, der von allen „Daddy“ genannt wurde, eine Nichtjüdin. 1928 unternahmen Daddy, sein Frau Elly und die Familie meiner Großeltern gemeinsam einen Wintersporturlaub in St. Moritz.
Als die Nazizeit 1933 begann, wurde Dagobert das Notariat entzogen, aber er durfte seine Anwaltstätigkeit weiter ausüben. 1938 war es auch damit vorbei. Als Jude durfte er nicht länger als Anwalt tätig sein. Eigentlich hätte ihm dies die Augen öffnen sollen, aber im Gegensatz zu seiner Nichte, die das Gras wachsen hörte und sich unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme in die Schweiz abgesetzt hatte, schien mein Großonkel der politischen Großwetterlage gegenüber völlig blind zu sein. Er erklärte selbstsicher: „Ich habe eine weiße Weste. Mir kann nichts geschehen.“
Die Gestapo dachte jedoch anders darüber, und so wurde Dagobert unmittelbar nach der Kristallnacht, also viel früher als die meisten anderen Juden, verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen überwiesen. Vielleicht war dies sein Glück, denn die Vernichtungsmaschinerie der jüdischen Bevölkerung war zu jenem Zeitpunkt noch nicht angelaufen.
Seine Frau Elly setzte alle Hebel in Bewegung, um ihn wieder frei zu bekommen. Sie verfasste einen langen Brief an den Papst, der sich persönlich für die Freilassung meines Großonkels einsetzte, der zum Zeitpunkt seiner Hochzeit zum Katholizismus übergetreten war. Sieben Wochen später war es endlich soweit. Mein Onkel Daddy wurde aus dem KZ entlassen unter der Auflage, dass er versprechen musste, augenblicklich mit seiner Frau auszureisen und nie wieder nach Deutschland zurückzukehren. Dagobert schwieg sich Zeit seines Lebens über seinen Aufenthalt im Konzentrationslager Sachsenhausen aus. Seine Haare waren aber in diesen sieben Wochen völlig weiß geworden.
Dagobert beschloss, nach Amerika zu emigrieren. Dazu benötigte er aber einen gültigen Reisepass. Er fand einen Beamten, der, nach Überreichung einer ausreichenden Menge an Bakshish, sich bereit erklärte, meinem Onkel bei der Beschaffung von Reisepässen behilflich zu sein. Allerdings könne er ihm nur Pässe besorgen, der ihnen die Ausreise nach Frankreich ermöglichen würde. Dagobert sollte sich in Paris mit einem Freund dieses Beamten treffen, der ihm dann die Reisepässe für Amerika aushändigen werde.
So gelang die Ausreise aus Deutschland. Geld konnte mein Onkel nicht mit über die Grenze nehmen, wohl aber seine Briefmarkensammlung, mit der er und seine Frau sich den ganzen Krieg hindurch über Wasser halten sollten.
Leider tauchte der „Freund“ am vereinbarten Treffpunkt nie auf, und so saßen Dagobert und Elly in Frankreich fest. Nach Ausbruch des Kriegs, nachdem der nördliche Teil von Frankreich von Deutschland überrannt worden war, wurden Dagobert und Elly erneut festgenommen und im Camp de la Braconne fast zwei Jahre lang interniert. Danach wurde ihnen erlaubt, sich im Dorf Masseret niederzulassen unter der Auflage, dass sie dieses Dorf nicht verlassen durften. So überlebten Dagobert und seine Frau Elly den Krieg verhältnismäßig unbeschadet.
Nach dem Krieg kehrten Dagobert und Elly wieder nach Berlin zurück, wo Dagobert seine Anwaltstätigkeit wieder aufnahm und sich auf das Führen von Wiedergutmachungsmandaten spezialisierte. Dagobert und Elly hatten nie Kinder.
Dagobert starb 1958 an plötzlichem Herzversagen. Seine Frau sollte ihn viele Jahre lang überleben. Sie kam uns häufig besuchen. Sie verbrachte regelmäßig ihre Sommerferien im Hotel Adula in Flims, im schweizerischen Bündnerland, wo auch wir unsere Sommerferien verbrachten. Sie verstand sich gut mit meiner Großmutter und mit meinen Eltern. (S. 15-17)
Q: people.inf.ethz.ch/fcellier/Genealogy/Spuren%20in%20der%20Vergangenheit.pdf