Martha Mosse

Status:
Überlebend
Geschlecht:
weiblich
Geburtsname:
Nicht bekannt
Genannt:
-
Alias:
-
Geburtsdatum:
29. Mai 1884
Geburtsort:
Wohnort:
Nicht bekannt
Ort der Schädigung:
Nicht bekannt
Todesdatum:
07. Juli 1963
Verstorben in:
Signatur LEA:
Ehepartner:
Nicht bekannt
Hochzeit:
Nicht bekannt
Mutter:
Nicht bekannt
Vater:
Nicht bekannt
Geschwister:
Nicht bekannt
Kinder:
Nicht bekannt
*Aufgrund rechtlicher Bestimmungen ausgeblendet

Vita

EK) Martha Mosse * 29.05.1884 Berlin
ab 15.03.1886 mit den Eltern und Schwester Dora (* 1885) für vier Jahre nach Tokio, Japan, Vater dort Rechtsberater der Regierung
1902 Abschluß der Arnheimschen Höheren Töchterschule, aber ohne Reifezeugnis
nach Übersiedlung der Familie von Königsberg nach Berlin 1907 - 1910 Gesang bei Wilhelm Klatte am Sternschen Konservatorium, Mitglied des Philharmonischen Chors
6 Jahre ehrenamtlich, aber vollberuflich bei der Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge, u.a. Ausbilderin
Jurastudium als Gasthörerin alternierend in Heidelberg (SS) und Berlin (WS)
August 1920 Promotion insigni cum laude zum Dr. jur. an der Universität Heidelberg
6 Monate Referendariat am Amtsgericht Berlin-Schöeberg
6 Monate juristische Hilfsarbeiterin im Preußischen Wohlfahrtsministerium
August 1922 Hilfsreferentin im Berliner Polizeipräsidium, Theaterabteilung
1926 Ernennung zum Polizeirat (erster weiblicher in Preußen)
Mitte April 1933 vom Dienst suspendiert aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"
Jahresende 1933 aus dem Staatsdienst entlassen
Verzicht auf Emigration wegen Pflege ihrer an Schüttellähmung erkrankten Mutter
Herbst 1934 in den Dienst der Jüdischen Gemeinde Berlin
1935 in die Zentralverwaltung der Jüdischen Gemeinde berufen, Leitung einer Beratungsstelle für ambulante Händler
01.05.1939 Leiterin der Wohnungsberatungsstelle: zwangsweise Umsiedlung der Berliner Juden in jüdische Häuser
19.09.1941 beauftragt mit Wohnungsräumungsaktion = erste Deportationswelle nach Lodz
22.10.1942 "Gemeinde-Aktion": 533 Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde entlassen und mit 328 Angehörigen deportiert (im 22. Osttransport vom 26.10.1942 345 ehemalige Mitarbeiter der JKV mit 164 Angehörigen)
mit Transport 13352 I/96 am 17.06.1943 ins Ghetto Theresienstadt, wh. Seestr. 26
aufgrund von Intervention der Japanischen Botschaft nicht nach Auschwitz deportiert, Status als "Prominente"
Untersuchungsrichterin in der "Detektivabteilung" bis Ende 1944
danach am Gericht der Jüdischen Selbstverwaltung
Mai 1945 Leitung der "Zentralevidenz" bis 01.07.1945
Zusammentreffen mit Nichte Eva Noack-Mosse in Theresienstadt
09.05.1945 nach Berlin, zurück in Wohnung Cicerostr.
ab Mitte Nov 1945 Dezernentin im Strafvollzugsamt der Generalstaatsanwaltschaft beim Berliner Kammergericht, der Aufsichtsbehörde über alle Berliner Gefängnisse
wg. Anschuldigungen Ehrengerichtsverfahren bei der Jüdischen Gemeinde initiiert, vermutlich Mitte 1946 bis Mitte 1948
kurzfristig bei einem mit der Verwertung von Filmrechten der UFA befaßten Privatunternehmen
06.11.1946 - 05.06.1947 Beraterin beim Office of Chief of Council for War Crimes (OCCW)
Verzicht auf Emigration in die USA wegen ihrer Lebensgefährtin Erna Stock
August 1948 Justitiar in der Kriminalabteilung des Berliner Polizeipräsidiums
später in gleicher Position in der Verkehrsabteilung
Ernennung zur Oberregierungsrätin
Ende 1953 Pensionierung
beratend im Vorstand des "Berliner Frauenbundes 1945 e.V./Landesverband des Deutschen Fraquenrings"
02.09.1977 verst. in einem Berliner Krankenhaus
(S. 570-93)
(EK) Erbe von 100.000 RM von Onkel Salomon Mosse (1903) und 30.000 RM von Onkel Theodor Mosse (1916)
Februar 1937 Testament mit Wertangabe von 17.000 RM
1957 Vermögen von 8.000 DM
bei Tod Bankguthaben von 5.600 DM
Alleinerbe Hans Jacob, wh. München = Sohn der geschiedenen, protestantischen Lebensgefährtin Erna Stock, die am 07.07.1963 verstorben war (S. 539-40)
s.a. https://www.lesbengeschichte.org/bio_mosse_d.html

Bemerkungen

Nicht bekannt

Biografie

(W) Martha Mosse (* 29. Mai 1884 in Berlin; † 2. September 1977 ebenda) war eine deutsche Juristin und erste Polizeirätin in Preußen. Als Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung wurde sie im NS-Staat mit Berufsverbot belegt und 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Mosse überlebte den Holocaust und sagte später als Zeugin in den Nürnberger Prozessen aus.

Martha Mosse war das älteste von den fünf Kindern der Eheleute Lina und Albert Mosse sowie Nichte von Rudolf Mosse. Im Februar 1886 übersiedelte die Familie nach Japan, da Albert Mosse auf Anfrage der japanischen Regierung beratend die Reorganisation der japanischen Verwaltung begleitete. Nach der 1890 erfolgten Rückkehr zog die Familie im darauf folgenden Jahr von Berlin nach Königsberg. Mosse wurde zunächst privat unterrichtet und kam dann auf eine Höhere Töchterschule. Nach der 1902 beendeten Schulzeit unternahm Mosse mit ihrer Familie ausgedehnte Reisen. Die Familie kehrte 1907 erneut nach Berlin zurück, wo Mosse im selben Jahr ein Gesangsstudium begann. Mangels Begabung brach sie jedoch 1910 ihr Musikstudium ab. Anschließend war sie bei der „Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge“ ehrenamtlich tätig und absolvierte einen Lehrgang an der „Sozialen Frauenschule“. Während des Ersten Weltkrieges führte sie von 1915 bis 1917 die Geschäfte der „Organisation zum Schutze der aufsichtslosen Kinder“ in Berlin und erhielt dafür das Zivilverdienstkreuz verliehen.

Sie schied 1916 aus der „Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge“ aus und besuchte zunächst als Gasthörerin juristische Vorlesungen in Heidelberg und Berlin. Da sie jedoch kein Abitur abgelegt hatte, konnte sie keinen regulären Studienabschluss erreichen. Dennoch wurde ihr in Heidelberg gestattet, mit der Dissertation Erziehungsanspruch des Kindes im August 1920 zum Dr. jur. zu promovieren. Anschließend konnte sie mit Sondergenehmigung in Funktion eines Rechtsreferendars für sechs Monate am Amtsgericht Berlin-Schöneberg hospitieren und war danach als juristische Hilfskraft im Preußischen Wohlfahrtsministerium beschäftigt.

Im August 1922 erfolgte durch Carl Severing ihre Berufung in das Berliner Polizeipräsidium. Dort war Mosse zunächst in der Theaterabteilung tätig, wo sie für die Überwachung der Einhaltung der Kinderschutz-Bestimmungen bei Theateraufführungen, Filmaufnahmen und sonstigen öffentlichen Darbietungen verantwortlich war. Aufgrund ihrer guten Leistungen erfolgte 1926 die Beförderung zur Polizeirätin. Mosse war somit die erste Polizeibeamtin des Höheren Dienstes (Polizeirat) in Preußen. Diese Beförderung ging mit einem Kompetenzzuwachs einher, so war Mosse nun zusätzlich mit der Aufsicht über Stellenvermittler im Theater, Schausteller-, Film- und Zirkusgewerbe befasst und auch für die Überwachung der Einhaltung der Sonn- und Feiertagsruhezeiten. Auch die Überwachung der Einhaltung des Gesetzes zur Schund- und Schmutzbekämpfung und die „Bekämpfung anstößiger Auslagen“ oblagen nun Mosse.

Mosse lebte seit Mitte der 1920er Jahre mit ihrer nichtjüdischen Partnerin Erna Sprenger gemeinsam in Berlin-Halensee.

Bald nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten wurde Mosse aufgrund ihrer jüdischen Herkunft durch das Berufsbeamtengesetz vom Polizeidienst suspendiert. Sie erhielt keine Bezüge mehr und wurde zum 1. Januar 1934 entlassen. Sie engagierte sich dann hauptberuflich in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin (JGB) und war dort schließlich mit der Beratung von Händlern betraut, die sie über Berufsbeschränkungen informieren musste, sowie mit weiteren Aufgaben wie Rechtsberatung. Ab 1939 leitete sie die Wohnungsberatungsstelle, wo jüdischen Bürgern, die ihre Unterkunft verloren hatten, ein neues Quartier, oft Judenhäuser, vermittelt wurden. Nach Beginn der Deportationen stellte Mosse vermehrt Rückstellungsgesuche für ihre Klienten und war bemüht, größeres Unheil abzuwenden. Anfang Oktober 1941 war Martha Mosse, Moritz Henschel und Philipp Kozower seitens der Berliner Gestapo mitgeteilt worden, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden nun beginnen würde und die JGB dabei mitwirken müsse. Trotz schwerer Bedenken entschlossen sich die Funktionäre der JGB, bei den erzwungenen Umsiedlungsmaßnahmen mitzuwirken, da angedroht wurde, ansonsten die Durchführung dieser Maßnahme von der SA und SS vornehmen zu lassen. Die JGB musste ihre Mitglieder Fragebögen ausfüllen lassen, aus denen die Gestapo dann Deportationstransporte zusammenstellte. Von Oktober 1942 bis Januar 1943 führte Alois Brunner vom Eichmannreferat mit einem Einsatzkommando die Deportation der Berliner Juden auf brutalste Weise durch. Ab Januar 1943 war wieder die Berliner Gestapo für die Deportationen zuständig.

Am 17. Juni 1943 wurde Mosse mit dem Transport 13352-I/96 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Aufgrund einer Intervention von Hanna Solf, Witwe eines ehemaligen Botschafters in Japan, konnte zuvor über die japanische Botschaft bei der Obersten SS-Führung eine Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz abgewendet werden. In Theresienstadt war Mosse zunächst als „Untersuchungsrichterin“ in der „Detektivabteilung“ und ab Anfang 1945 im Gericht der sogenannten „jüdischen Selbstverwaltung“ tätig. Die zu ermittelnden Straftaten und verhandelten Delikte umfassten Diebstähle, kleine Einbrüche und Schlägereien. Von Mai 1945 bis zu ihrer Entlassung am 1. Juli 1945 war sie in der Leitung der „Zentralevidenz“, der wichtigsten Verwaltungsstelle im Lager, beschäftigt. Die Selbstverwaltung bescheinigte Mosse eine "ausserordentlich pflichtbewusste Beamtin" zu sein, die "weitgehendes Interesse für die Bedürfnisse der Gemeinschaft der in Theresienstadt Internierten" hätte. Eine noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportierte Cousine Mosses traf ihre Tante im Lager hinkend und mit aufgedunsenem Gesicht an. Mosse war durch die Lagerhaft körperlich und seelisch gezeichnet. In Theresienstadt gehörte Mosse zu den sogenannten prominenten Häftlingen mit bescheidenen Privilegien. Kurz vor der Befreiung von Theresienstadt durch die Rote Armee sollte sie mit weiteren sogenannten prominenten Häftlingen als Geiseln der abrückenden Lager-SS dienen, was jedoch durch das mittlerweile im Lager tätige Internationale Rote Kreuz verhindert werden konnte.

Nach ihrer Rückkehr im Juli 1945 trat Mosse in Berlin zweimal eine Arbeitsstelle an, die sie aufgrund von Kollaborationsanschuldigungen bezüglich ihrer ehemaligen Tätigkeit in der Wohnungsberatungsstelle der JGB wieder verlor. Mosse, durch die alliierten Behörden bereits entlastet und als Opfer des Faschismus eingestuft, stellte sich einem Ehrengerichtsverfahren der jüdischen Gemeinde. Dort wurde sie der Kollaborationzwar nicht für schuldig befunden, aber trotz diverser Fürsprecher auch nicht eindeutig entlastet. Da Mosse nicht gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin in die USA emigrieren konnte, da diese kein Visum erhielt, entschied sich das Paar, weiter in Berlin zu leben. Mosse beriet vorbereitend die amerikanische Militärregierung bezüglich der Nürnberger Prozesse und arbeitete in diesem Rahmen als Übersetzerin. Sie sagte im Februar 1948 als Zeugin der Anklage gegen Gottlob Berger im Wilhelmstraßen-Prozess aus.

Sie arbeitete von August 1948 bis zu ihrer Pensionierung Ende 1953 bei der Berliner Kriminalpolizei und der Verkehrsabteilung im Polizeipräsidium, zuletzt zur Oberregierungsrätin ernannt. Danach war sie noch bis in die 1970er Jahre beim Berliner Frauenbund engagiert und zeitweise stellvertretende Vorsitzende. Sie widmete sich dort insbesondere dem Ausschuss Altershilfe der Frauenbewegung. Ihre „Erinnerungen“, Anlage: Die jüdische Gemeinde zu Berlin 1934–1943, erschienen im Juli 1958.

Q: https://de.wikipedia.org/wiki/Martha_Mosse