Von 1789 bis 1870
Von der Französischen Revolution 1789 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1870 – die Gleichstellung der Juden
Der Zeitraum von 1789 bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1870 bringt im Ergebnis eine Gleichstellung der Juden und ein Ende der Diskriminierung. Diese Entwicklung bezeichnet man als Emanzipation. Sie verlief nicht gleichmäßig, sondern wellenförmig. Es kam immer wieder zu Rückschritten, bis der Norddeutsche Bund am 3. Juli 1869 gesetzlich die Gleichstellung vollzog.
Von 1789 bis 1815
Das Land an der Saar fiel ab 1793 an Frankreich und wurde 1798 Teil der französischen Administration mit Einführung der Departement-Verfassung. Frankreich war das erste Land Europas, das Juden gleichberechtigt behandelte.
Und dennoch waren die Folgen der Französischen Revolution für die Juden ambivalent: Zunächst positiv revolutionär, da erstmals in Europa ihre Ausgrenzung aufgehoben und sie im Sinne des Gleichheitsgedankens zu Staatsbürgern wurden, womit sie wirtschaftliche Freiheit und Zugang zu Staatsämtern erhielten.
Doch zugleich setzte ein paar Jahre später unter Napoleon ab 1808 wieder eine rückläufige Entwicklung ein: Die Gleichberechtigung wurde zwar unter Napoleon nicht aufgehoben, aber eine Stigmatisierung im Sinne eines „verdorbenen“ Volkes begann wieder an Boden zu gewinnen und spiegelte sich in entsprechenden Verfügungen wider, etwa in einem jährlich vorzulegenden Moralitätszeugnis oder in Form von Dekreten, die Schuldendienste gegenüber Juden einseitig zugunsten der Schuldner regelten und jüdische Geldverleiher teilweise in den Ruin führen sollten. Dies deutet an, dass die Französische Revolution einerseits einen enormen Fortschritt für die Juden bedeutete, denn sie wurden im Sinne der Egalité (Gleichheit) zu Bürgern, andererseits höhlte Napoleon 1808 durch Dekrete diesen Fortschritt wieder aus.
Mit der Französischen Revolution 1789 und der französischen Herrschaft an der Saar erhielten auch die hiesigen Juden Bürgerrechte, dies erklärt einen Zuzug jüdischer Bevölkerung.
Im französischen Saardepartement lebten im frühen 19. Jahrhundert rund 3.600 Juden, 80 Prozent waren Dorfjuden, die vor allem im Hunsrück, aber auch im Raum Ottweiler und Neunkirchen siedelten und dort im Klein- und Viehhandel tätig waren.
Die Gleichberechtigung führte dazu, dass vor allem an verkehrsgünstig gelegenen Orten Juden zuwanderten. Von 1789 bis 1808 erhöhte sich die Zahl der Juden in Homburg von vier auf 128, in Merzig von fünf auf 83 und in Saarbrücken lebten jetzt wieder 58 Juden (1808).
In Saarbrücken ließ sich 1793 Isaak Kahn mit seiner Familie aus Tholey nieder und 1795 folgte ihm der Handelsmann Simon Moses aus dem lothringischen Lixheim, der im Zuge der von Napoleon erzwungenen Familiennamen sich dann Adam Simon nannte. 1808 lebten in Saarbrücken und St. Johann insgesamt 58 jüdische Menschen. 1830 lebten allein in Saarbrücken 96 jüdische Personen, in den folgenden Jahren nahm die Bevölkerung wieder ab.
Von 1815 bis 1848
Nach der Niederlage Napoleons 1815 wurden diese im Geiste der Aufklärung stehenden preußischen Reformen wieder zurückgenommen. In Ansätzen war dies schon 1818 erkennbar, als es um die Frage ging, inwiefern die aus der französischen Zeit stammenden Dekrete im Linksrheinischen den preußischen Gesetzen anzupassen waren.
In den folgenden Jahren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte die preußische Verwaltung im Linksrheinischen, die Juden diskriminierende Politik der Berliner Stellen aufzuweichen und sich an der Rechtsgleichheit und damit am aufgeklärt revolutionären Gedankengut zu orientieren.
Die nachteiligen napoleonischen Dekrete von 1808 galten aber weiter, Saarbrücker Juden wanderten zahlreich nach Frankreich aus.
Für die Zeit nach 1815 finden sich etwa auch für Saarbrücken Belege von Judenfeindlichkeit. So lehnte der Stadtrat 1816 das Niederlassungsgesuch des Händlers Dreyfus ab. Jüdische Konkurrenz wollte man fernhalten, der von Juden betriebene Kommissionshandel missfiel wohl Saarbrücker Kaufleuten. Auch für Saarlouis sind für 1840 und 1844 Zuzugsverweigerungen überliefert.
Ein Wendepunkt für Saarbrücken zeigt sich aber spätestens 1843 in der an den Provinziallandtag gerichteten Petition zur bürgerlichen Gleichstellung von Juden und Christen. Der Saarbrücker Abgeordnete Karl Schmidtborn hatte sich schon im Juli 1837 dafür eingesetzt. Die Saarbrücker Petition fand seinerzeit 97 Unterzeichner und zeigt, wie sehr Saarbrücken Teil der liberalen Bewegung wurde.
Die größten jüdischen Gemeinden mit jeweils über 100 Jüdinnen und Juden gab es in Saarlouis, Illingen, Homburg, Merzig, Ottweiler und Saarwellingen. Saarbrücken lag mit 45 jüdischen Gemeindemitgliedern (Stand: 1843) an zehnter Stelle. In Relation zur Einwohnerzahl wies Illingen mit 27 Prozent den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil auf, dicht gefolgt von Saarwellingen mit 25 Prozent sowie von Tholey und Rehlingen mit knapp zehn Prozent.
Die jüdische Gemeinde im Landkreis Saarlouis war 1829 mit 680 Juden deutlich größer und die fünftgrößte innerhalb der preußischen Rheinprovinz hinter Bonn, Köln, Düsseldorf und Koblenz. Ihre Siedlungsschwerpunkte lagen in Saarwellingen und Saarlouis.
Das Gesetz über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 hatte zwar keine Gleichstellung im Sinne der Judenemanzipation von 1791 zur Folge, wohl aber eine Aufhebung der napoleonischen Diskriminierungen. Die gescheiterte Revolution 1848 hemmte die Bemühungen um eine Gleichstellung.
Die 1850er Jahre bis 1869
Erst in den 1860er Jahren setzte sich eine liberale Haltung gegenüber den Juden durch, auch mit Blick auf die Industrialisierung und die sich ändernde Wirtschaftsstruktur erschien den politisch Verantwortlichen eine Gleichstellung angezeigt, die 1869 in der Verfassung des Norddeutschen Bundes vollzogen wurde.
Für die Geschichte des Judentums markiert die Judenemanzipation zwar eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität, da sie mit einer Zurückdrängung des Antijudaismus verknüpft war. Sie vollzog sich aber gleichzeitig im Zuge einer Assimilation an die jeweilige nationale Kultur und ihre Werte, verbunden mit einem Rückgang kultureller Identität und Tradition und einer zunehmenden Reduktion jüdischer Identität auf die Religion. Dies zeigt sich in einem Sinken des jüdischen Bevölkerungsanteils und gilt nicht nur für die preußischen Landesteile des heutigen Saarlandes. So sank der jüdische Bevölkerungsanteil im Reich zwischen 1871 und 1910 von 1,25 auf 0,95 Prozent, was sich dadurch erklären lässt, dass Juden zum Christentum übertraten und gut ein Drittel der Juden sich mit nicht-jüdischen Partnern verheiratete.
Der Weg zur Gleichberechtigung im Überblick
27. September 1791: Beschluss der Nationalversammlung in Paris, Juden, die einen Eid auf die Verfassung ablegen, die vollen Bürgerrechte zu gewähren. Dieser Beschluss und die folgenden Dekrete gelten nach Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch Frankreich für sämtliche Juden des Saarraumes.
30. Mai 1806: Dekret Napoleons, Urteile gegen Bauern zugunsten von Juden in verschiedenen Departements nicht zu vollstrecken.
17. März 1808: Dekret Napoleons zur Einschränkung der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit von Juden.
20. Juli 1808: Dekret Napoleons, das alle Juden zur Führung fester Vor- und Familiennamen verpflichtet.
11. März 1812: Edikt des preußischen Königs, das den Juden das Staatsbürgerrecht gewährt, von dessen Inhalt nach dem Sturz Napoleons jedoch nur die einschränkende Bestimmung (keine Zulassung von Juden zu den höheren öffentlichen Ämtern) auf das linksrheinische preußische Gebiet übertragen wird.
6. April 1818: Verordnung des bayerischen Königs über die weitere Gültigkeit des napoleonischen Dekrets vom 17. März 1808 im Fürstentum Lichtenberg.
23. Juli 1847: Preußisches Gesetz über die Verhältnisse der Juden, durch das ihnen „die Ausübung einer richterlichen, polizeilichen oder exekutiven Gewalt“ weiterhin untersagt ist. Die durch das Gesetz verliehenen Kooperationsrechte (Recht zur Vereinigung in Synagogengemeinden, aber an staatliche Mitwirkung gebundene Selbstverwaltung) gelten sogar noch in der Völkerbundzeit (1920-1935). Auf dieser Grundlage entstehen die meisten saarländischen Synagogengemeinden und deren Satzungen.
18. Februar 1849: Staatsgrundgesetz für das Herzogtum Oldenburg und damit für das zu diesem gehörende Fürstentum Birkenfeld, das jedem Staatsbürger „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit“ zusichert, relevant für St. Wendel und Umgebung.
29. Juni 1851: Bayerisches Gesetz, das den Juden im Wesentlichen die rechtliche Gleichstellung gewährt, relevant für das Gebiet des heutigen Saar-Pfalz-Kreises und Ensheim.
3. Juli 1869: Gesetz des Norddeutschen Bundes über „die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung“.
22. April 1871: Reichsgesetz, das bestimmt, dass die Gesetze des früheren Norddeutschen Bundes als Reichsgesetze im Königreich Bayern eingeführt sind.
Hinweis: 1815 fielen weite Teile des Landes an der Saar an das Königreich Preußen und das Gebiet des heutigen Saarpfalzkreises mit Ensheim an die bayerische Pfalz. Das Fürstentum Lichtenberg um St. Wendel fiel an Sachsen-Coburg und das Fürstentum Birkenfeld an Oldenburg.