Das „Band der Erinnerung“ auf dem Synagogenvorplatz
Nachdem im Jahr 2012 in Saarbrücken der Rabbiner-Rülf-Platz mit dem Mahnmal „Der unterbrochene Wald“ feierlich eingeweiht worden war, fehlte der jüdischen Gemeinde weiterhin ein Denkmal, das ein namentliches Gedenken an die saarländischen Opfer der NS-Herrschaft ermöglicht, das die Erinnerung an ihre Deportation und Ermordung für künftige Generationen wach hält. Rund 30 Jahre setzte sich die jüdische Gemeinde, vor allem unter ihrem früheren Vorsitzenden Richard Bermann, für die Errichtung eines solchen namentlichen Erinnerns ein. Für die jüdische Tradition sei das namentliche Gedenken von großer Bedeutung. Nenne man die Namen der Opfer nicht, so töte man sie ein zweites Mal, so das Argument. Am 4. September 2022 wurde das Denkmal eingeweiht und der Synagogenvorplatz in „Platz der Erinnerung” umbennant.
Nachdem sich die Landeshauptstadt Saarbrücken und die Synagogengemeinde Saar im Jahr 2018 auf den Standort geeinigt hatten, wurde 2019 ein offener Wettbewerb ausgeschrieben, an dem 98 Künstler und Künstlerinnen teilnahmen. Eine wesentliche Vorgabe bei der Auslobung des Wettbewerbs war die Nennung der einzelnen Namen der - nach derzeitigem Kenntnisstand - rund 2000 Saarländischen Opfer des Holocaust.
„Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele.“
Der erste Preis ging an die Künstlergruppe Mannstein + Vill aus Berlin für ihren Entwurf mit dem ursprünglichen Titel „Der Name ist ein Stück des Seins und der Seele“, basierend auf einem Zitat von Thomas Mann.
Dieses „Band der Erinnerung“ von David Mannstein und Maria Vill setzt die im Wettbewerb geforderten Vorgaben auf ästhetische, filigrane und unprätentiöse Weise um. Das „Band der Erinnerung“, eine begehbare Skulptur aus Edelstahl, besitzt eine Höhe von 2,6 Metern, nimmt eine Grundfläche rund 7 x 5 Metern ein und zeigt eine „schwankende“ Wand mit einer abgerollten Länge von rund 14 bis 15 Metern aus freigelaserten, circa 2,5 Zentimeter hohen Buchstaben. Ihr Endmaß ergibt durch die Biegungen etwa acht Meter.
Beschreibung Mannstein + Vill
„Die Skulptur, ein Abschnitt aus einem unermesslich langen Band, besteht aus den Namen der deportierten und ermordeten saarländischen Jüdinnen und Juden.
Die Namen, Geburtsdaten schaffen eine Nähe zu den Menschen, für die sie stehen.
Todesdaten und Deportationsorte stehen für das Verbrechen, dessen Opfer sie wurden.
Die Skulptur ermöglicht einen visuellen und einen haptischen Kontakt. Die Besucherinnen
und Passanten können sie berühren, sie können sich aber auch in ihr bewegen, verschiedene Standpunkte und damit verschiedene Blickpunkte einnehmen. Wir können versinken im Meer aus Namen.
Wir spüren und erfahren, dass es sich hier nicht um eine abstrakte, namenlose Zahl handelt, sondern um Menschen, wie wir selbst, unsere Kinder, unsere Eltern, unsere Freunde.
Die Skulptur ist groß und schwer, aber gleichzeitig auch fragil und transparent. Sie verstellt nicht den Blick auf die Welt, sondern verbindet ihr Leben mit unserem Leben. Sie lässt erahnen, wie unvorstellbar lang dieses Band sein müsste, wenn die Namen aller 6 Millionen Opfer des Holocaust hier beschrieben stünden.
Sie ist Symbol für die Abwesenheit der Menschen und verschafft ihnen zugleich eine Anwesenheit im Hier und Jetzt, in unserer Erinnerung, in unserem Denken. Indem wir uns mit ihrem Tod beschäftigen, beschäftigen wir uns mit dem Leben.“
Das Edelstahl-Band wird zunächst 1.928 Opfernamen umfassen.
Das Stadtarchiv der Landeshauptstadt und das Landesdenkmalamt haben 2019 und 2020 die Opferdaten mit Unterstützung des Saarländischen Landesarchivs recherchiert und erfasst. Als Datengrundlage dienten die Opferliste der Synagogengemeinde Saar sowie Vorarbeiten des Vereins "DenkmalMit!". So entstand bis Anfang 2021 eine Liste mit 1.928 Datensätzen von ermordeten Opfern.
Diese Daten erscheinen im Denkmal in alphabetischer Reihenfolge. Die Datensätze werden voneinander durch zwei senkrechte Striche abgegrenzt. Als Opfer wurden für die Erstellung der Liste nicht nur die in den Konzentrationslagern Ermordeten oder mit unbekanntem Ziel „in den Osten“ Deportierten und seitdem Verschollenen betrachtet. Es wurden auch diejenigen mit in das Gedenken aufgenommen, die in der Emigration als Soldat oder Resistancekämpfer gefallen sind, diejenigen, die durch die Entbehrungen und Qualen der Flucht und des versteckten Lebens in der Illegalität umkamen, sowie auch diejenigen, die sich angesichts ihrer Verfolgung für den Freitod entschieden.
Für viele dieser Opfer ist ein genaues Todesdatum nicht festzustellen. Sofern es kein späteres durch Dokumente belegtes Datum gibt, wurde für sie das Datum der Deportation als Todesdatum gesetzt. Die Verfasser der Opferliste hatten auch zu entscheiden, wer als „Saarländer“ gelten soll. Viele der Opfer sind nicht im Saarland geboren. Ein Teil war aus Osteuropa zugewandert. Eine weitere Zuwanderungswelle setzte nach Beginn der Verfolgung im Deutschen Reich ein.
Nach gewissenhaftem Abwägen haben sich die Forscher entschlossen, alle jüdischen Bürgerinnen und Bürger als Saarländer zu zählen, für die sich ein Aufenthalt von wenigstens einem Jahr im damaligen Saargebiet belegen lässt. Auch in der Emigration geborene Kinder wurden mit einbezogen. Die Recherche nach eventuellen weiteren Opfern ist jedoch nicht abschließbar. Insofern stellt das Mahnmal keinen endgültigen Zustand der Opferliste dar, sondern gibt bloß ein vorläufiges Ergebnis wieder.