Tendenziell schwächerer Antisemitismus an der Saar?

Autor: Hans-Christian Herrmann

Ablehnung der antisemitischen Judenpetition von 1881

So stieß 1881 die vor allem von dem evangelischen Pfarrer Adolf Stoecker reichsweit aufgelegte und bereits erwähnte Judenpetition auf Ablehnung. Die von Gutsbesitzern, Militärs und Professoren unterzeichnete Petition wollte den jüdischen Einfluss auf ein „ungefährliches Maß“ reduzieren. Die St. Johanner Stadtverordneten widersetzten sich: „Wir vermögen in dem Inhalt und der Tendenz der Petition und des Begleitschreibens nur den Ausfluss eines höchst inhumanen, dem Geiste und Bildungsgrade der Zeit Hohn sprechenden und dann verwerflichen religiösen Fanatismus zu erblicken, der ledig[lich] geeignet ist, Hass und Zwietracht in dem deutschen Volke zu erregen.“

Auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges scheint Antisemitismus an der Saar geringer ausgeprägt gewesen zu sein. Gleichwohl gab es auch hier antisemitische Vorfälle wie etwa eine Flugblattkampagne gegen jüdische Geschäfte in Illingen im Jahr 1907.

Auch bei den Spartakusaufständen und Hungerkrawallen im Oktober 1919 in Saarbrücken waren jüdische Geschäfte betroffen. 1921 regulierte die Stadt die entstandenen Schäden. Insgesamt 26 Firmen und Personen erhielten Zahlungen. Unter den Geschäften sind eine ganze Reihe jüdischer wie etwa die Firma Ury in Malstatt-Burbach, aber auch das nicht-jüdische Kaufhaus Müller & Baur. Die höchste Summe von 2,4 Millionen Mark erhielt das Kaufhaus J. Lyon & Söhne, gefolgt von dem jüdischen Schuhgeschäft der Gebrüder Fischel mit 520.000 Mark. Bei den Beträgen ist schon eine beginnende Geldentwertung zu berücksichtigen. Das Kaufhaus Sinn scheint verschont worden zu sein. Auch in anderen saarländischen Orten wurden jüdische Geschäfte zerstört wie etwa das „Welthaus“ der Gebrüder Wronker am Hüttenberg in Neunkirchen. Ob diese Zerstörungen gezielt antisemitisch waren, lässt sich nicht mehr klären, erscheint eher unwahrscheinlich, da auch andere Geschäfte betroffen waren. Für Mai 1922 ist ein massiver antisemitischer Vorfall in St. Wendel überliefert. So wurde in die Synagoge eingebrochen und die Türen mit Kot verschmiert.

Hoher Katholikenanteil und Arbeiterparteien – eher distanziert zum Antisemitismus?

Von links zu sehen das UT Kino der jüdischen Familie Davidson in Saarbrücken, Stadtarchiv, Sammlung Ansichtskarten, Nr. 3029 

Von links zu sehen das UT Kino der jüdischen Familie Davidson in Saarbrücken, Stadtarchiv, Sammlung Ansichtskarten, Nr. 3029 

Von links zu sehen das UT Kino der jüdischen Familie Davidson in Saarbrücken, Stadtarchiv, Sammlung Ansichtskarten, Nr. 3029 

Zu erklären ist diese Zurückhaltung gegenüber antisemitischer Propaganda mit der im Vergleich zum Reich abweichenden Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur und der besonderen saarpolitischen Situation.

Über 70 Prozent der Bevölkerung waren katholisch und dementsprechend das Zentrum [Partei der Katholiken] die stärkste politische Kraft mit einem Wähleranteil von 40 Prozent. Die Arbeiterparteien erzielten zwischen 30 und fast 40 Prozent der Stimmen.

Beide Lager standen im Ruf am wenigsten für antisemitische Parolen empfänglich gewesen zu sein. Dies gilt insbesondere für die SPD, in der es auch an der Saar einige politisch aktive jüdische Persönlichkeiten gab wie in Saarbrücken Walter Sender und Eduard Lehmann, die Familie Herzberger in Neunkirchen und Egon Berl in St. Wendel.

Zu beachten ist ferner, Saarbrücken war seinerzeit noch keine Universitätsstadt und das Saargebiet insgesamt arm an Akademikern. Gerade aber die jungen Studentinnen und Studenten entwickelten ab Mitte der 1920er Jahre einen immer stärkeren Antisemitismus. Seit 1926 dominierte der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund die Hochschulen des Reichs und Burschenschaften hatten schon in den 1880er Jahren Juden ausgeschlossen.  Weite Teile der jungen Akademikergeneration wurden in der NS-Zeit zur Tätergeneration. Es sind gerade die akademischen Berufsgruppen wie Juristen und Mediziner, die ab 1930 an der Saar ein vorauseilend antisemitisches Profil entwickeln und  dabei der Entwicklung im Reich nacheifern.

Verdeckt der Hass auf das Feindbild Regierungskommission latenten Judenhass?

Während im Reich Juden von den Gegnern der Republik zu Sündenböcken erklärt wurden, zog Frankreich im Saargebiet mit seinem ungeschickt und selbstherrlich auftretenden Viktor Rault als Präsidenten der Regierungskommission von rechts bis links den Hass der saarländischen Öffentlichkeit  auf sich. Frankreich förderte den Nationalismus an der Saar.

Dabei entstand zunächst ein so starkes Band, dass eine offene Ausgrenzung von jüdischen Menschen unterblieb, ganz im Unterschied zum Reich. Gleichwohl gab es antisemitische Zwischenfälle: Als der jüdische Bildhauer Benno Elkan mit der „Heldenklage“ in Frankfurt/Main ein herausragendes Kunstwerk für die Opfer des Ersten Weltkrieges gestaltet hatte, entschied sich die Stadt Völklingen für ein ähnliches Projekt und Elkan wurde mit seiner Umsetzung in der Röchling-Stadt beauftragt.

Am 7. Juni 1925 wurde sein Mahnmal der Öffentlichkeit übergeben. Es gab seitens der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei Kritik und das Kunstwerk wurde beschädigt, 1935 wurde es dann abgebaut. Im Landesrat warnte Dr. Walter Sender vor wachsendem Antisemitismus, so etwa am 5. Februar 1925, zu dieser Zeit war es auch in Saarlouis zu Hakenkreuzschmierereien gekommen. Antisemitismus verbreitete an der Saar ab Mitte der 1920er Jahre die Zeitung „Der Saar-Deutsche“ mit Parolen wie „Deutsche Mädchen. Hütet Euch vor Juden.“ Es handelte sich um die politische Wochenschrift für die „schaffenden Stände in Stadt und Land“, das Organ hatte in der Provinzialstraße 102 in Brebach seinen Sitz und erschien 1926.

Antisemitische Hetze durchzog alle Ausgaben. Und doch erscheint der Antisemitismus im Saargebiet der 1920er schwächer ausgeprägt gewesen zu sein als in anderen Gebieten. So war es etwa 1926 und 1928 zu Synagogenschändungen in Hermeskeil, Waldmohr und Kaiserslautern gekommen – nicht weit vom Saargebiet entfernt. Ebenso waren im Kreis Simmern jüdische Friedhöfe 1927 und 1931 zerstört worden. In Mainz wurde 1929 eine antisemitische Notgemeinschaft gegründet und am 30. Juni und 1. Juli 1930 war es dort beim Abzug französischer Truppen vom linken Rheinufer zu antisemitischen Ausschreitungen gekommen.

Das von Benno Elkan geschaffene Mahnmal in Völklingen, - Stadtarchiv Völklingen

Das von Benno Elkan geschaffene Mahnmal in Völklingen, - Stadtarchiv Völklingen

Das von Benno Elkan geschaffene Mahnmal in Völklingen, - Stadtarchiv Völklingen

Plakat der NSDAP-St. Ingbert mit dem Zusatz „Jüdische Menschen haben keinen Zutritt“. - Stadtarchiv Saarbrücken, Nachlass Karl August Schleiden. 

Plakat der NSDAP-St. Ingbert mit dem Zusatz „Jüdische Menschen haben keinen Zutritt“. - Stadtarchiv Saarbrücken, Nachlass Karl August Schleiden. 

Plakat der NSDAP-St. Ingbert mit dem Zusatz „Jüdische Menschen haben keinen Zutritt“. - Stadtarchiv Saarbrücken, Nachlass Karl August Schleiden.