Sport
Juden im Saarsport – weitgehend noch ein blinder Fleck
Der Sport entwickelte sich im 20. Jahrhundert zu einer Massenbewegung und erlebte bereits vor dem Ersten Weltkrieg wachsenden Zulauf. Es entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den Jahren danach zahlreiche Sportvereine.
Die Arbeiterbewegung sah im Sport einen Beitrag zur Völkerverständigung, die Konservativen und Nationalen eine Stärkung der Wehrertüchtigung.
Sport wurde vor allem auch als positiv für die Gesundheit anerkannt. So förderte die Industriestadt Saarbrücken nach dem Ersten Weltkrieg den Bau von Sportanlagen. Zwischen 1919 und 1935 entstand eine Vielzahl von Sporthallen und Sportplätzen. Auch große Anlagen wie das Stadion Kieselhumes wurden errichtet und bestehende Anlagen wie das 1912 erbaute Kaiser-Friedrich-Bad aufgewertet. Neu war aber auch, dass der Sport Zuschauer anlockte und Sportveranstaltungen zu Massenveranstaltungen wurden. Menschen ganz unterschiedlicher Bevölkerungsschichten kamen zusammen und feuerten ihre „Mannschaft“ zu Höchstleistungen an. Insbesondere Frauen spielten nun eine aktive Rolle im Sport, in Vereinen und bei Wettkämpfen. Auch sie waren begeisterte Zuschauerinnen.
Gerade der Zionismus hatte auf sportliche Ertüchtigung großen Wert gelegt. Sport bildete sozusagen eine Grundlage zur Selbstbehauptung, zum Aufbau eines eigenen Staates Israel und zu dessen Verteidigung. Gewisse Vergleiche zu Turnvater Jahn (1778-1852) drängen sich auf.
Früher Antisemitismus im Sport
Auch im deutschen Sport spielten Juden vor der „Machtergreifung“ Hitlers eine aktive Rolle, insbesondere im Fußball. Es gab zudem drei jüdische Sportorganisationen, nämlich die 1919 vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gegründete Organisation „Schild“, der 1921 gegründete Weltverband „Makkabi“ und der 1925 gegründete Verband jüdisch neutraler Turn- und Sportvereine Westdeutschlands (Vintus).
Die Bildung dieser Vereine war Ausdruck eines bereits in den Zwanzigern spürbaren Antisemitismus im Sport. Vintus organisierte in Deutschland für Juden eigene Meisterschaften im Fußball, in der Leichtathletik und im Turnen, da der bürgerliche Westdeutsche Spielverband jüdischen Sportvereinen die Teilnahme an seinen Rundenspielen und Meisterschaften verweigert hatte.
In Saarbrücken gründete sich ein Hakoah-Fußballverein kurz nach der Volksabstimmung 1935, sowie der Turn- und Sportverein Schild. Einer der Akteure bei Hakoah Saarbrücken war Max Lion, Mainzer Str. 185. Hakoah Saarbrücken soll kurz nach seiner Gründung kräftig gewachsen sein und über 50 aktive Fußballer verfügt haben.
Jüdische Fußballer machen deutsche Meister
Im Deutschen Fußballbund gab es mit Kurt Landauer eine prominente Persönlichkeit mit jüdischen Wurzeln. Er war 1913/14 und von 1919 bis 1933 Präsident des FC Bayern München.
Die Bayern-Spieler Josef Pollack und Gustav Manning zählten zu den Spielern der ersten Stunde, auch sie hatten jüdische Wurzeln. In Landauers Ära wurde Bayern München in den Jahren 1926 und 1928 süddeutscher Meister und 1932 erstmals Deutscher Meister. Maßgeblich dafür der von Landauer gewonnene österreichische Trainer Richard Kohn, genannt Little Dombi, auch er war jüdischer Herkunft.
Landauer war absolut assimiliert und kein gläubiger Jude. Nach der Reichspogromnacht wurde er vorübergehend in ein Konzentrationslager gesteckt, es gelang ihm 1939 in die Schweiz zu fliehen, drei seiner Geschwister wurden in Konzentrationslagern ermordet. Nach 1945 baute er den Verein wieder auf.
Adolf Kertész - Ein prominenter ungarischer Fußballer kommt nach Saarbrücken
Zur Rolle von jüdischen Frauen und Männern im Saarsport ist bisher eher wenig bekannt. Ein jüdischer Profisportler, der kurze Zeit in Saarbrücken spielte, war der ungarische Fußballspieler Adolf Kertész, der sowohl auf professioneller Ebene für MTK Budapest als auch auf internationaler Ebene für die ungarische Fußballnationalmannschaft als Halbverteidiger spielte. Im Jahr 1920 kam er von Berlin aus an die Saar und kickte für ein paar Wochen für Saar 05. Er war israelitischen Glaubens, geboren am 15. März 1892 in Budapest.
Adolf Kertész spielte als Läufer zwischen 1909 und 1920 für den MTK Budapest und zwischen 1911 und 1920 elfmal für die ungarische Fußballnationalmannschaft. Sein letztes Spiel absolvierte er am 2. Mai 1920 in Wien beim 2:2 gegen Österreich.
Ab 18. Oktober 1920 war er in Saarbrücken gemeldet und wohnte mit seiner Frau Stefanie am Neumarkt 9 in Alt-Saarbrücken. Möglicherweise war er beim 7:0-Sieg von MTK Budapest über Saar 05 am 30. Juni 1920 entdeckt und engagiert worden.
Bereits ein paar Tage nach seinem Wechsel zu Saar 05 starb er am 30. November 1920 bei einem Autounfall in Homburg. Seine Frau blieb noch einige Zeit in Saarbrücken und wohnte von März bis Juni 1921 in der Mainzer Straße 2.
Seine Brüder Vilmos (21. März 1890 in Budapest geboren, gestorben 15. September 1962 in Melbourne/Australien) und Gyula, auch Julius genannt (29. Februar 1888 in Kiskálna, Ungarn geboren, gestorben am 1. Mai 1982 in New York/USA), waren ebenfalls Berufsfußballer. Der Bruder Gyula trainierte auch zahlreiche Fußballmannschaften in Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Skandinavien. Nachdem Gyulas Vertrag beim VfB Leipzig im Mai 1933 in gegenseitigem Einverständnis aufgelöst wurde, kehrte er Deutschland den Rücken und emigrierte in die USA, wo er in der Schallplattenindustrie Arbeit fand. Sein Sohn, der sich George Curtis nannte, war ein führender Manager bei Remington Records.
Jüdische Sportler in Dudweiler und Heusweiler – geschätzt, geehrt und dann verfolgt
Ladislaus Graj ist ein weiterer ungarischer Jude im Saarsport. Seine Familie war fußballbegeistert, seine Brüder spielten in der ungarischen Nationalmannschaft. Im Jahr 1923 verpflichtete SV Hansa Dudweiler den am 1. September 1900 in Budapest geborenen Graj als Fußballtrainer. Er zog von Frankfurt/Main über Wiebelskirchen nach Dudweiler. Stadtverwaltung und Sportverein bemühten sich um den Mann aus Ungarn. Der Sohn eines Klempnermeisters wohnte dann auch in Dudweiler. Im Jahr 1925 hatte er Charlotte Luise Müller geheiratet. Das Paar hatte drei Kinder. Graj konvertierte bei seiner Heirat zum Protestantismus und nahm die Konfession seiner Frau an, die Kinder wurden evangelisch getauft. Ende der 1920er Jahre endete wohl der sportliche Einsatz, denn Graj wurde 1930 auf der Grube Jägersfreude eingestellt. Der Polizeimeister Peter Schneider berichtete 1947: „Er war beliebt und geachtet in der Bevölkerung“.
Mit dem vergleichsweise späten Bekanntwerden seiner jüdischen Wurzeln im Jahr 1939 änderte sich dies allerdings schlagartig. Graj wurde von seinen Kollegen auf der Grube Dudweiler schikaniert und gemieden. Sein Spind wurde aufgebrochen und sein Werkzeug gestohlen. Seine Frau wurde genötigt, sich scheiden zu lassen, dem widerstand sie tapfer und hielt zu ihrem Ehemann. Aus rassischen Gründen wurde der Elektroschweißer am 27. November 1939 entlassen. Bei eisigen Temperaturen und starkem Schneefall wurden Graj und seine Familie aus der Wohnung geworfen, sie wurden wie rechtlose Menschen behandelt. Die Grajs fanden Unterschlupf bei Bekannten. Ladislaus war ein gebrochener Mann und bekam nun Depressionen, zugleich erkrankte er an Lungentuberkulose, auch zu erklären durch die Entmietung im tiefsten Winter. Er kam ins Dudweiler Krankenhaus. Die dortigen Ärzte behandelten ihn nicht weiter, da er Jude war. Er wurde ins Jüdische Krankenhaus nach Frankfurt verbracht, seine Frau durfte ihn nicht begleiten. Dort verstarb er am 2. April 1940.
Kahn genoss wohl in Heusweiler hohes Ansehen
Der „Allgemeine Turnverein Dudweiler“ (ATVD) entstand aus dem Zusammenschluss des „Turnvereins Dudweiler 1882“, des „Turn-und Spielclubs“ und des Dudweiler Turnerbundes. 1901 wurde beim Turn- und Spielclub ein Hermann Kahn zum Schriftwart gewählt. Dieser Turner Hermann Kahn verließ wohl aus beruflichen Gründen Dudweiler und wurde Mitglied im TV Heusweiler, dessen Chronik vermerkt: „23.2.1935: „ln der Jahreshauptversammlung des TV Heusweiler wird beschlossen, ‚den Juden Hermann Kahn mit Rücksicht darauf, daß er Kriegsteilnehmer war und schon 35 Jahre Mitglied der DT ist, sowie Mitgründer des Turnvereins Dudweiler war, nicht aus dem Verein auszuschließen, sondern weiterhin als Mitglied zu führen.‘ Der arische Turner Anton Maud erklärt: ‚Wenn der Jude Hermann Kahn aus dem Verein ausgeschlossen wird, werde ich freiwillig aus dem Verein ausscheiden.‘"
Hermann Kahn genoss wohl in Heusweiler hohes Ansehen. Die Familie wohnte am Hirtenbrunnen und hatte ein Bekleidungsgeschäft. Die Kahns spürten aber die Gefahr, emigrierten wohl noch 1935 nach Luxemburg und betrieben dort Landwirtschaft. Von Luxemburg suchten sie Sicherheit in Amsterdam und führten dort ein Textilgeschäft in der Calvastreat. Hermann Kahn wurde nach dem Überfall Hitlers auf die Niederlande enteignet, in ein Lager bei Groningen verschleppt und dort ermordet.
Zu weiteren vereinzelten Spuren jüdischer Sportler an der Saar
Wohl mit der Ausgrenzung von Juden aus dem Sport ab 1935/36 entstand in Saarbrücken der neugegründete jüdische Turn- und Sportverein „Hakoah“, Vorsitzender war Lothar Rothschild, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde.
Als Retter von Borussia Neunkirchen gilt übrigens Alfons Leopold Herzberger, Leiter des Kaufhauses Levy in Neunkirchen. Herzberger war Mitglied der USPD, Vorstandsmitglied des Schutzvereins für Handel und Gewerbe und ein engagierter Neunkircher Bürger und Mäzen, der mit einer großzügigen Spende den Fußballverein Borussia Neunkirchen vor dem finanziellen Desaster bewahrte.
An dieser Stelle sei auch an Emanuel Schaeffer erinnert, der nach dem Holocaust der bis heute erfolgreichste Fußballtrainer Israels werden sollte. Der in Galizien geborene Schaeffer war mit seiner Familie im Zeichen der dortigen Judenpogrome nach dem Ersten Weltkrieg ausgewandert. Recklinghausen wurde zur neuen Heimat der Familie. Nach der Machtergreifung Hitlers flohen die Schaeffers am 4. April 1933 nach Metz. Der Vater konnte sich dort aber keine neue Existenz aufbauen. Die Familie sprach auch kein Französisch und so zogen sie nach Saarbrücken, zum 3. August 1934 in der Bahnhofstraße 18 gemeldet, ab 28. August in der Wilhelm-Meyer-Straße im Stadtteil Malstatt. Als Reaktion auf den unerwartet starken Antisemitismus verließen sie die Stadt bereits wieder am 26. November 1934 wahrscheinlich Richtung Polen.
Ein in Saarbrücken geborener jüdischer Sportler war Erich Hintfeld. Als Sohn von Moses Hintfeld und seiner Ehefrau Betty, geborene von Geldern, wurde er am 18. Dezember 1905 in St. Johann geboren. Sein Vater war Installateur und von Essen im September 1905 nach St. Johann gezogen, bereits 1906 ging die Familie Hintfeld wieder zurück nach Essen. Erich Hintfeld arbeitete als Dekorateur in Gelsenkirchen und nahm 1937 für die Kölner Barterer bei den Makkabimeisterschaften teil. Die Familie wurde deportiert und wohl im Ghetto in Minsk ermordet.
Nicht in Saarbrücken, sondern in Neunkirchen sportlich aktiv war Kurt Lachmann, Unternehmer in Neunkirchen (Metallbetrieb MENESA), der bei zahlreichen Leichtathletikkämpfen an den Start ging und zu den Gründungsmitgliedern des „Deutschen Sportclubs“ in Neunkirchen zählte. Ab Herbst 1933 bekam er den wachsenden Antisemitismus im Saarsport zu spüren, so hinderte man ihn an Veranstaltungen teilzunehmen. Lachmann emigrierte im Zuge der Saarabstimmung 1935 nach Frankreich, schloss sich der Résistance an und kehrte als Guy Lachmann mit der Besatzungsmacht 1945 an die Saar zurück. Er wurde Polizeipräsident des autonomen Saarlandes.