Anfänge jüdischen Lebens in Saarbrücken
Jüdisches Leben in Saarbrücken existiert erst seit rund 300 Jahren
Ganz einfach ist es nicht, jüdisches Leben in der Stadt Saarbrücken darzustellen. Private Überlieferungen sind durch die Gegebenheiten des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen. Die Pogrome, die Zerstörung der Synagoge und der Holocaust vernichteten die meisten Spuren - physisch, materiell und kulturell.
Und auch das Stadtarchiv Saarbrücken verwahrt nur wenige Dokumente, die über Leben und Wirken jüdischer Mitbürger und Mitbürgerinnen in der Stadt Auskunft geben können.
Entgegen Städten wie Köln, Worms, Wittlich, Speyer oder Trier kann Saarbrücken auch nicht auf eine bis in die Antike zurückreichende 1700-jährige jüdische Geschichte zurückblicken, sondern, wenn überhaupt mit der Nennung von Juden im Freiheitsbrief für die Städte Saarbrücken und St. Johann aus dem Jahr 1322, auf eine 700-jährige schriftliche Überlieferung ganz allgemein. Dauerhaft ansässig wurden die ersten Juden hier in der Stadt erst vor etwa 300 Jahren.
Der Freiheitsbrief aus dem Jahr 1322. Die erste überlieferte Quelle
Die erste überlieferte Quelle, in der Juden genannt werden, ist die Freiheitsurkunde für die Städte Saarbrücken und St. Johann, ausgestellt von Graf Johann I. im März 1322. Hier werden Juden unter der Personengruppe erwähnt, die nicht der Gerichtsbarkeit des Gemeinsamen Stadtgerichtes unterstehen, sondern weiterhin der des Grafen oder seiner Nachfahren. Zu dieser zählen neben den Juden auch Pfarrer und angehende Pfarrer, Edelleute, Italiener, die mit Gewürzen handeln (Kawertiner) sowie Handelsleute oder Geldwechsler (Lampertere). So heißt es in der Urkunde:
„Wir behalden uns und unsen erben paffen, schulern, edellude, kawertine, lampertere und juden, ob wir sie wurden haldene, als wir sie vor der vriheide hatten.“ Aus dieser allgemeinen Formulierung lässt sich jedoch nicht schließen, dass auch tatsächlich Juden in den beiden Städten lebten.
Während beispielsweise in den saarländischen Orten Merchweiler, Saarwellingen, Nalbach, Illingen, Blieskastel oder auch im Bereich Merzigs bereits seit der Frühen Neuzeit wenige jüdische Einwohner lebten, waren bis ins 16. Jahrhundert hinein auf dem Territorium der heutigen Landeshauptstadt wohl keine Juden ansässig. Weder in der Türkensteuerliste (1542) werden Juden genannt - steuerpflichtig wären sie gewesen - noch in den späteren Renovaturprotokollen (1686) finden sie Erwähnung.
Die ersten Zeugnisse für Beziehungen zu Juden
Zwei jüdische Ärzte sorgten sich um das Wohlergehen des Grafen Philipps II. (1545-1554)
Graf Philipp II. war es, der im März 1546 Kaiser Karl V. in der Stadt empfing, zu einer Jahreszeit, als die Saar mal wieder Hochwasser führte und der Kaiser und seine Truppen mehrere Tage den Fluss mit der Fähre nicht überqueren konnten. In der Folge forderte der wohl verärgerte Kaiser Philipp auf, eine steinerne Brücke zu errichten – die heutige Alte Brücke.
Philipp II. war zeitlebens gesundheitlich sehr angeschlagen. Von Erfrierungen, die er sich bei einem Feldzug in den Niederlanden zugezogen hatte, erholte er sich kaum. Die unglückliche Ehe und das lange Warten auf die ihm bestimmte Tätigkeit als Regent mögen ihr Übriges dazu beigetragen haben. Zu seinem umfangreichen „Ärztestab“ zählten auch zwei jüdische Ärzte.
So schrieb der leidende Graf im Jahr 1546 in einem Brief an seine Mutter, Katharina von Saarwerden, sie möge die Frau eines jüdischen Arztes, der von Venedig nach Deutschland gekommen sei und schon vielen geholfen habe und auch ihm Hilfe zugesagt habe, von „Forchhausen“ (bei Zabern) nach Saarbrücken schicken, damit sie ihrem Mann beim Kräutersuchen und anderen Dingen behilflich sein könne. Venedig war, durch reichhaltige Erfahrungen leidvoller Seuchenjahre, in jener Zeit die erste Adresse für gute Mediziner. Ob dieser jüdische Arzt Philipps Leiden lindern konnte, ist nicht belegt.
Jüdischer Arzt
Meister Markus
Im Jahr 1548 wurde der jüdische Arzt Meister Marcus (Marx) aus Diedenhofen zum Leibarzt Philipps berufen. Es existiert ein Dokument über dessen Bestallung am gräflichen Hof. Dieses zeigt, dass Meister Marcus vom Grafen äußerst bevorzugt behandelt wurde. Es besagt, dass Meister Marcus jedes Jahr zu Weihnachten durch den Saarbrücker Rentmeister 40 Gulden (zu 26 Albus), 10 Malter Frucht, halb Weizen, halb Korn, ein Fuder Wein, zwei Kleider und lebenslang eine Behausung für sich, seine Hausfrau und sein Hausgesinde erhalten sollte. Auch sollten ihm 10 Fuder Holz mit Fronwagen gefahren werden, außerdem sollte er jährlich 10 Gänse, 20 Hühner und ein Viertelhundert Karpfen erhalten. Dafür musste der Meister Marx den Grafen, seine Gemahlin und den Hofstaat ärztlich behandeln.
Doch sollten die Arzneien, die er aus der Apotheke brauchen würde, die Patienten selbst bezahlen. Dabei sollte es ihm gestattet sein, sofern der Graf ihn entbehren kann, andere Kranke um Lohn zu behandeln. Falls Meister Marx, seine Hausfrau oder seine Mitgläubigen, die bei ihm Hausung hätten, mit dem Tode abgingen, sollte man sie in das Feld „uff ein besunder umzeunt Pletzlein“ neben den Weg begraben.
Wie lange Meister Marcus in Saarbrücken weilte und wie erfolgreich er Philipp behandelte, ist leider nicht bekannt. Jedenfalls schrieb Philipp bereits kurz vor Ostern 1550 an einen anderen Medicus, den berühmten Arzt Gebhard von Wygen in Konstanz, und bat diesen, er möge doch zu ihm kommen, oder falls das nicht möglich wäre, solle er ihm mitteilen, wann er ihn in Rappoltsweiler treffen könne. Und wiederum kurze Zeit später sollte sich ein weiterer berühmter Arzt und Botaniker - Hieronimus Bock – am Saarbrücker Grafenhof um Philipps Wohlergehen bemühen.
Exkurs: Jüdische Ärzte genossen im hohen Mittelalter oft großes Ansehen. Weltliche und geistliche Oberhäupter bis hin zu Kaisern und Päpsten ließen sich von jüdischen Leibärzten behandeln. Verstärkt seit dem 16. Jahrhundert gerieten die jüdischen Ärzte unter erheblichen Druck. Der latente Antijudaismus der Reformation wie die Konkurrenzangst der christlichen Ärzte erschwerten ihre berufliche Entfaltung. So setzten die christlichen Ärzte beispielsweise in Frankfurt 1574 durch, dass sich ihre jüdischen Kollegen ungeachtet auswärtiger Hochschuldiplome erneut einer gesonderten Prüfung unterziehen mussten, um die Berechtigung zur Ausübung ihres Berufs zu erlangen. Das Tätigkeitsfeld der jüdischen Mediziner wurde so bis zur Emanzipation immer mehr auf jüdische Patienten eingeschränkt. Allerdings haben trotz aller Schwierigkeiten auch immer wieder Christen ihren Rat gesucht.
Die Judenordnung des Jahres 1732
Erst während der Regentschaft Fürst Wilhelm Heinrichs änderte sich das Bild. 1732 hatte bereits seine Mutter, Charlotte Amalie, eine Judenordnung aufgestellt, ohne dass diese jedoch für die hiesige Region von großer Bedeutung gewesen wäre, da hier immer noch keine Juden lebten.
Die rechtliche Grundlage für das jüdische Leben in der Grafschaft Saarbrücken bildeten wie überall im Land die sogenannten „Judenordnungen“. In diesen regelte die Obrigkeit die ökonomischen und juristischen Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung.
Am 27. Februar 1732 erließ die regierende Fürstin Charlotte Amalie von Nassau-Usingen-Idstein, die Mutter des späteren Fürsten Wilhelm-Heinrich, ein solches 20 Artikel umfassendes Judengesetz, das jedoch bereits am 23. Januar 1740 durch ihren Sohn Karl geändert wurde.
Dieses Gesetz verbot Juden religiöse Diskussionen und regelte den jüdischen Handel: So durfte Geldverleih nur unter amtlicher Aufsicht stattfinden und Beamte durften von Juden keine Geschenke annehmen. Wucher war grundsätzlich verboten. Allerdings wird nicht beschrieben, was man unter Wucher versteht. Juden durften keinen Grundbesitz erwerben, keine Synagogen bauen oder Schulen. Und sie durften sich nicht mit Christen einlassen und schon gar nicht heiraten.
Aufgenommen in die Grafschaft und damit unter den Schutz des Herrscherhauses gestellt, wurden nur Juden mit einem nachweislichen Vermögen von mindestens 300 Gulden.
Diese erlassenen Judenordnungen spielten jedoch für die Grafschaft zunächst keine Rolle, da hier kaum Juden lebten. Das änderte sich erst mit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Wilhelm Heinrich im Jahr 1741.