Aufhebung des Napoleonischen
Dekretes 1843
Von der Aufhebung des napoleonischen Dekretes 1843 bis zur staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden 1869
Am 13. Juli 1843 beschloss der 7. Rheinische Provinziallandtag die Abschaffung des napoleonischen Dekretes und sprach sich jetzt vorbehaltslos für eine politische Emanzipation der Juden aus.
Wie zahlreiche Einwohner anderer Städte der Rheinprovinz wandte sich auch das liberale Saarbrücker, St. Johanner, St. Arnualer und Dudweiler Bürgertum im Mai 1843 mit einer von 181 Bürgern unterzeichneten Petition an den Rheinischen Provinziallandtag. Dieser Beschluss blieb zunächst rechtlich jedoch ohne Auswirkungen, da der Landtag über keinerlei gesetzgebende Funktion verfügte. Er konnte lediglich Gesetzesvorschläge erarbeiten und diese der Berliner Regierung vorlegen. Eine vorläufige völlige Gleichberechtigung erhielten die Juden, als die deutsche Nationalversammlung 1848 in der Paulskirche die „Grundrechte des deutschen Volkes" verkündete. In der Reichsverfassung vom 29. März 1849 hieß es in Artikel V §146:
„Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.“
Preußen, das der Frankfurter Paulskirchenverfassung nicht folgte, nahm in seinem Verfassungsentwurf folgende Formel auf: „Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse.“
Die nachfolgende Restaurationsperiode schraubte die rechtliche Emanzipation der Juden wieder zurück. Das „Christliche“ stand weiter im Vordergrund und verwehrte Juden die gleichberechtigte Teilhabe: So erhielten sie das aktive Wahlrecht für den Kreis- oder Landtag, nicht jedoch das passive Wahlrecht. Gewerblich besaßen sie nun alle Rechte, öffentliche Ämter blieben ihnen jedoch weiterhin verwehrt.
Erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes wurden die gesetzlichen Beschränkungen für Juden beseitigt. So heißt es in dem von König Wilhelm am 3. Juli 1869 erlassenen Gesetz: „Einziger Artikel. Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Aemter vom religiösen Bekenntniß unabhängig sein.“
Dieses Gesetz wurde bei Gründung des Deutschen Reiches 1871 in das Reichsgesetz übernommen, ebenso 1919 in die Weimarer Verfassung. Für den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung Saarbrückens haben die ab 1850 vor allem in die Stadt St. Johann zugezogenen jüdischen Bürger bis zur NS-Zeit eine maßgebende Rolle gespielt.
Petition zur Judenemanzipation der Bürger von Saarbrücken, St. Johann und Umgegend vom Mai 1843 - Ausdruck der liberalen Bewegung des hiesigen Bürgertums
Insgesamt 181 Bürger aus Saarbrücken, St. Johann, St. Arnual, Friedrichsthal und Sulzbach unterzeichneten am 15. Mai 1843 eine Petition an den Rheinischen Provinziallandtag, in der sie unter anderem die rechtliche und politische Gleichstellung der jüdischen Mitbürger forderten.
Vorgeschichte
In den vergangenen drei Jahrzehnten hatte sich die Saarbrücker und St. Johanner Bürgerschaft meist noch vehement gegen eine Ansiedlung jüdischer Geschäftsleute gewehrt und diese erfolgreich verhindern können, ebenso die dauerhafte Einrichtung einer jüdischen Elementarschule. Da man dieser trotzig die finanzielle Unterstützung verweigerte, musste die 1825 eröffnete Schule bereits 1831 wieder schließen.
Seit den wohlwollenden Ausführungen des Landtagsabgeordneten der Saarstädte Karl Schmidtborn über die Saarbrücker Judengemeinde am 22. Juli 1837 im Provinziallandtag, änderte sich allmählich die Haltung der Bürgerschaft und der Verwaltungen der Saarstädte den jüdischen Mitbürgern gegenüber. Man bescheinigte den Juden nun eine „positive Entwicklung“, sowohl geschäftlich als auch moralisch. Damit hätten sie sich „die allgemeine Achtung der christlichen Einwohner erworben“. Das immer noch gültige Napoleonische Dekret – in Frankreich längst „erfolgreich“ aufgehoben - stand einer weiteren „positiven Entwicklung“ nun entgegen.
Der Petition gingen neben den Ausführungen Karl Schmidtborns etliche Stellungnahmen voraus, die unter anderem im Saarbrücker Anzeiger (dem Vorläufer der heutigen Saarbrücker Zeitung) dargelegt und diskutiert wurden. Mit ihrer aufgeschlossenen Gesinnung reihten sich die Saarbrücker, St. Johanner, St. Arnualer sowie Friedrichsthaler und Sulzbacher Bürger, die die Petition unterzeichneten, in die allgemeine liberale Bewegung der Rheinprovinz, ja sie gelten durchaus als Vorreiter. Während die Darstellungen im Saarbrücker Anzeiger eine historische Einordnung und ausführliche Begründungen für die liberalen Forderungen lieferten, lag der inhaltliche Schwerpunkt der Saarbrücker Petition auf der staatsbürgerlichen Gleichstellung der jüdischen Mitbürger.
Wortlaut der Petition
So heißt es unter Punkt VI. der Petition vom Mai 1843: „(….) Allein wir sehen das Mittel zur Heilung nicht in einer Fortsetzung des Druckes, sondern in dessen Aufhebung, in der Gleichstellung an Rechten mit uns selbst, denen sie in Lasten gleich stehen; ohne jedoch dabei Uebergangsmaßregeln, wenn nur in diesem Geiste der Humanität gehalten, ausschließen zu wollen. Wir werden dann nicht die traurige Erscheinung zu beklagen haben, die sich mehr und mehr vor unseren Augen wiederholt, daß brave, geachtete Männer dieses Glaubens, grade solche, die zur Hebung und Veredelung des ganzen Stammes am kräftigsten mitwirken würden, mit schwerem Herzen unserm Vaterlande, das sie als ebenbürtige Kinder nicht anerkennt, den Rücken kehren, um sich in Nachbarländern eine neue wohnliche Heimath zu gründen und ein stiller Vorwurf zu sein für das Land, das sie verstößt.
Möge es deshalb der Hohen Stände-Versammlung gefallen, Sr. Majestät, unserem Allergnädigsten Könige, die Bitte vorzutragen, diejenigen Masregeln Allergnädigst in Bedacht zu nehmen, welche geeignet erscheinen, um die Bekenner des mosaischen Glaubens alsbaldigst in den vollen Genuß derjenigen bürgerlichen und politischen Rechte zu setzen, wozu ihre eigene fortgeschrittene Bildung sie befähigt, die Gleichheit ihrer Lasten sie berechtigt und die der humane Geist der Zeit und des Christenthums ihnen willig gewährt.
Saarbrücken und St. Johann, Mai 1843
Einer Hohen Ständevertretung ehrerbietigste Bürger der Städte Saarbrücken, St. Johann u[nd] Umgegend.“
Umsetzung
Die Petition wurde in den jeweiligen Rathäusern zum Unterschreiben ausgelegt. 97 Saarbrücker, 67 St. Johanner, sieben St. Arnualer sowie sechs Friedrichsthaler und Sulzbacher Bürger und vier weitere Personen unterzeichneten die Petition, darunter Bürgermeister, Kaufleute, Handwerker, Pferdehändler, Glasfabrikanten, Lehrer, Bankiers, Stadtverordnete, Richter, Geistliche. Von den damals zwölf jüdischen Haushaltsvorständen in Saarbrücken unterzeichneten der Bankier Moritz Simon, sein Sohn Simon Simon, der Pferdehändler Felix Kahn, der Kaufmann Baruch Beer und der Lotterieunternehmer Joseph Stern.
Der 7. Rheinische Provinziallandtag stimmte in seiner Sitzung am 13. Juli 1843 mehrheitlich mit 54 gegen 19 Stimmen dem Antrag zur Gleichstellung der Juden zu, was jedoch rechtlich zunächst keine weiteren Konsequenzen nach sich zog, da dieser keine gesetzgebende Funktion ausübte.
Auf die Stimmungslage der Saarbrücker Bürgerschaft übte ihr Inhalt sichtbaren Einfluss aus. So plädierte der Saarbrücker Bürgermeister Johann Ludwig Wagner beispielsweise im Zuge des Erlasses einer neuen Gewerbeordnung im Dezember 1844 für die Abschaffung der jährlichen Handelsautorisierung für jüdische Kaufleute.
Handel in der Stadt zu treiben, war Juden trotz aller Einschränkungen durchaus erlaubt. In der Stadt betätigten sie sich überwiegend als Tuchhändler. Ihre Waren bezogen sie auf nationalen und internationalen Märkten und priesen diese in der Tagespresse wie beispielsweise dem Saarbrücker Intelligenzblatt (Vorläufer der Saarbrücker Zeitung) an.
Salomon Petersen teilt seiner Kundschaft mit, dass er auf der Ostermesse in Frankfurt beste Tücher unterschiedlicher Qualität erworben hat, die man in seinem Geschäft in der Saalgasse erwerben kann.
Stadtarchiv Saarbrücken
Ankündigung des Notars Junk, dass ab Montag, den 23. Februar und an den darauffolgenden Tagen der Saarbrücker Händler Isaak Beer in seiner Wohnung in der Vorstadt diverse Baumwoll-Waren und verschiedenartige Möbel, darunter ganz moderne Stühle, zum Verkauf bzw. zur freiwilligen Versteigerung anbietet. Die Waren sind bar zu bezahlen.
Stadtarchiv Saarbrücken
Baruch Beer teilt seiner Kundschaft mit, dass er seine große Auswahl an Tuchwaren zu äußerst günstigen Preisen anbietet. Der Verkauf findet in der Alten Neuengasse Nr. 224 statt.
Stadtarchiv Saarbrücken