Politik
Juden im politischen Leben von Saarbrücken
Juden engagierten sich auch in der Kommunalpolitik. Es handelt sich nach bisherigem Wissensstand dabei ausschließlich um Männer, die entsprechende Ämter bekleideten. Von einer überdurchschnittlich starken Präsenz kann jedoch nicht gesprochen werden. In der SPD waren mit Walter Sender und Eduard Lehmann in Saarbrücken zwei bekannte jüdische Rechtsanwälte aktiv und in St. Wendel der Kaufmann Eugen Berl.
Wohl der erste kommunalpolitisch aktive Jude in Saarbrücken war der Kaufmann Michael Simon, er gehörte als einziger Jude zwischen 1871 und 1880 der Saarbrücker Stadtverordnetenversammlung an. Für diese Anfänge politischen Engagements jüdischer Mitbürger steht auch der 1841 in Saarlouis geborene Bankier Myrtil Lazard, von 1893 bis zu seinem Tod 1898 Mitglied des St. Johanner Stadtrates. Er war Vorsitzender des Vorstandes der Israelitischen Gemeinde und Mitbegründer des 1872 errichteten Bankhauses Lazard, Brach & Co. Er leitete es bis zu seinem Tod am 28. Januar 1898. Bürgermeister Paul Neff (1853-1934) würdigte Larzards Verdienste um St. Johann. Lazard darf als geschätztes und anerkanntes Mitglied der Saarbrücker Gesellschaft gelten, war er doch auch Mitglied der Casino-Gesellschaft und der Handelskammer, den damaligen Zentren der bürgerlichen Elite.
Bei der Bildung der Großstadt Saarbrücken im Jahr 1909 gehörten eine Reihe jüdischer Persönlichkeiten der Stadtverordnetenversammlung an: die Kaufleute Salomon Israel und Isidor Köster, der Rechtsanwalt Dr. Oskar Scheuer, die Rechtsanwälte Dr. Walter Sender und Eduard Lehmann sowie der Landmesser Martin Mendelsohn.
Martin Mendelsohn
Über viele Jahre war Martin Mendelsohn in der Kommunalpolitik engagiert. Er galt als ein vor allem kunstinteressierter Mensch, der Künstler finanziell unterstützte. Mendelsohn, am 14. September 1861 in Oels (Schlesien) geboren, wohnte seit den 1890er Jahren in St. Johann. Er war verheiratet und hatte zwei Töchter. Zuletzt lebte er in St. Arnual in dem Haus „Zur Mühle“ 21 (heute: Quienstraße). Sein Büro als Landvermesser hatte er in der Dudweiler Straße 26 im Stadtteil St. Johann. In diesem Haus wohnte übrigens die Familie des Musikalienhändlers Schellenberg. Einer der Schellenberg-Söhne, Walter Schellenberg, studierter Jurist, war seit 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP und der SS und startete eine Karriere im Reichssicherheitshauptamt in Berlin, wurde SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen SS.
Dr. Walter Sender und Eduard Lehmann
Für die 1920er Jahre zeigt sich für das Saargebiet ein ähnliches Bild wie im Reich mit Verbindungen jüdischer Persönlichkeiten zur Sozialdemokratie und zum linksliberalen Lager. Jüdische Sozialdemokraten in Saarbrücken waren die Rechtsanwälte Dr. Walter Sender und Eduard Lehmann. Daraus ist aber keineswegs zu schließen, dass die jüdische Bevölkerung mehrheitlich diese Parteien wählte.
Am 19. Juli 1922 wurde Sender in der ersten Sitzung des Landesrates zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion gewählt. Sender bezog klar Position gegen die Versuche Frankreichs, das Saargebiet an Frankreich zu binden. Er beklagte die fehlenden Befugnisse des Landesrates und damit die undemokratischen Verhältnisse der Völkerbundverwaltung. Sender war aber auch der erste Politiker, der 1925 im Landesrat vor Antisemitismus und Nationalsozialismus warnte. Im gleichen Jahr legte er den Fraktionsvorsitz im Landesrat nieder. Er kämpfte gemeinsam mit Eduard Lehmann entschieden gegen die Rückgliederung des Saargebietes an Hitler-Deutschland.
Sender emigrierte 1935 nach Frankreich und betrieb bei Paris eine kleine Parfümproduktion, nach Hitlers Überfall auf Frankreich floh er nach Südfrankreich. Er überlebte, kehrte nach Saarbrücken zurück und half maßgeblich die jüdische Gemeinde wiederaufzubauen. Ebenso Eduard Lehmann.
Dr. Oskar Scheuer
Im Saargebiet ist außerdem die Gründung und Führung der Deutschen-Demokratischen Partei des Saargebietes mit dem jüdischen Rechtsanwalt Dr. Oskar Scheuer (1877-1966) verbunden. Geboren und aufgewachsen in St. Johann studierte Scheuer nach dem Abitur Rechtswissenschaften in München, Berlin und Bonn (1896-1900). Seit 1904 war er als Rechtsanwalt in Saarbrücken tätig. Scheuer wohnte seit 1904 in der Luisenstraße 40 und ab 1931 in der Uhlandstraße 7. Als Vorsitzender der DDP war er auch Mitglied des Landesrates in der 1. Wahlperiode, Mitglied des Saarbrücker Stadtrates (1922-1932) und Vorsitzender des Anwaltsvereins. Wegen seiner jüdischen Wurzeln emigrierte er nach Luxemburg und konnte im Februar 1939 nach Palästina auswandern. Seine Existenz als Anwalt war durch die Ausgrenzung jüdischer Anwälte ab 1935 ruiniert worden. Er bekam deshalb einen Nervenzusammenbruch und litt zeitlebens immer wieder bis zu seinem Tod an Depressionen. Scheuer starb in Tel Aviv am 22. Januar 1966.