Rechtsanwälte

Autor: Hans-Christian Herrmann

Auszug aus dem Adressbuch der Stadt Saarbrücken 1930/31. - Stadtarchiv Saarbrücken

Auszug aus dem Adressbuch der Stadt Saarbrücken 1930/31. - Stadtarchiv Saarbrücken

Auszug aus dem Adressbuch der Stadt Saarbrücken 1930/31. - Stadtarchiv Saarbrücken

20 Prozent der Saarbrücker Rechtsanwälte waren Juden

22 jüdische Anwälte gab es 1933 im Saargebiet, das entsprach etwa 20 Prozent und die meisten arbeiteten in Saarbrücken. Mit Blick auf einen jüdischen Bevölkerungsanteil von nur knapp 0,6 Prozent zeigt sich eine in der Tat hohe Präsenz, die den Aufstieg von Juden in die Mittelschicht verdeutlicht. In der preußischen Rheinprovinz lag der Anteil der jüdischen Rechtsanwälte sogar bei 28,5 Prozent. Im Saargebiet vollzog sich die Präsenz jüdischer Anwälte etwas später als im Reich. Erst nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich bis 1930 eine deutliche Zunahme jüdischer Rechtsanwälte an der Saar.

 

Hintergründe

Erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert war der Beruf des Rechtsanwaltes für Juden frei zugänglich. Die wichtigsten Zäsuren auf diesem Weg waren die preußische Verfassung von 1850. Artikel 12 versprach eine Zulassung zu öffentlichen Ämtern. Die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes stellte 1869 die israelitische Konfession den anderen gleich. Die Freigabe der Advokatur für Juden erfolgte 1878. Die jüdische Bevölkerung nutzte nun die Möglichkeiten der gewährten Gleichstellung. Der Anteil jüdischer Menschen, die ein Gymnasium besuchten und anschließend eine Universität, lag im 19. Jahrhundert bei weitem höher als bei Katholiken und Protestanten. Auf dem Weg zu Anerkennung und gesellschaftlichem Aufstieg spielte Bildung für viele Juden eine entscheidende Rolle. Generell wuchs die Zahl der Anwälte, die der jüdischen allerdings besonders stark, nicht zuletzt, weil jüdische Juristen im Staatsdienst recht chancenlos blieben. Für Juristen war seinerzeit vor allem der Richterberuf erstrebenswert.

Die Möglichkeiten für Juden, ein Richteramt zu erhalten, waren aber in der Praxis recht gering. Im Saargebiet gab es 1934 nur wenige Juden im höheren Staatsdienst: zwei jüdische Richter (Dr. Barth, Dr. A. Levy), zwei Notare (Dr. Hanau, Dr. Loeb) sowie zwei Studienräte (Dr. Löwenherz, Dr. Straus). Die Tätigkeit als Rechtsanwalt hatte zwar noch nicht den sozialen Stellenwert, den der Beruf später in der bundesrepublikanischen Gesellschaft gewinnen sollte. Gerade aber die Industriegesellschaft und die Entwicklung von Handel und Gewerbe boten Rechtsanwälten ein wachsendes Betätigungsfeld. Im Saargebiet vollzog sich die Präsenz jüdischer Anwälte etwas später als im Reich.  Erst nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich bis 1930 eine deutliche Zunahme jüdischer Rechtsanwälte an der Saar.

Erfolgreiche jüdische Kanzleien als Beispiel für den gesellschaftlichen Aufstieg

Eduard Lehmann mit seiner Frau Thekla Kleeblatt und Töchterchen Marianne, 1926 in Saarbrücken - Foto privat, Sammlung Daniel Stiefel

Eduard Lehmann mit seiner Frau Thekla Kleeblatt und Töchterchen Marianne, 1926 in Saarbrücken - Foto privat, Sammlung Daniel Stiefel

Eduard Lehmann mit seiner Frau Thekla Kleeblatt und Töchterchen Marianne, 1926 in Saarbrücken - Foto privat, Sammlung Daniel Stiefel

So wie die Saarbrücker Bahnhofstraße die Geschichte erfolgreicher jüdischer Geschäftsleute erzählt, so ist die Kaiserstraße Heimat jüdischer Rechtsanwälte  gewesen: Kanzlei Abraham & Hirsch in der Nr. 21 und  Sender & Lehmann in der Nr. 28 a. Der erste jüdische Anwalt in Saarbrücken war Albert August, Sohn des Wellesweiler Viehhändlers Salomon August, der 1899 in der Dudweiler Straße 4 (damals noch Stadt St. Johann) seine Praxis eröffnete. Diese Kanzlei sollte sich zur erfolgreichsten Rechtsanwaltspraxis an der Saar entwickeln. Auch Albert Augusts Bruder Eugen gehörte ihr an und ab 1922 Dr. Hans Neureuter, evangelisch getauft, seine Großmutter war aber Jüdin.

Der Fabrikantensohn Gustav Levy verstärkte die Kanzlei. Er war von 1913 bis 1922 als Anwalt in Saarlouis tätig gewesen. Zum Kundenstamm der Kanzlei August zählten namhafte und vor allem solvente Klienten aus der Wirtschaft wie etwa die Burbacher und Neunkircher Hütte, die Eisen- und Stahlwerke Röchling in Völklingen und die Mannesmann Röhrenwerke in Bous. August war von 1920 bis 1934 Vorsitzender des Vorstandes der Anwaltskammer des Saargebietes. Sein Lebensweg steht beispielhaft für den gesellschaftlichen Aufstieg vieler Juden über die Bildung – vom Sohn eines Viehhändlers zu einem der bedeutendsten Rechtsanwälte an der Saar, so lässt sich sein Lebensweg auf den Punkt bringen. Zu den großen Saarbrücker Kanzleien gehörte ebenso die Praxisgemeinschaft von Dr. Hugo Abraham und Dr. Karl Hirsch in der Kaiserstraße 21. In dem Haus befand sich die von Walter Franke geführte Kaiserapotheke und das Zigarrengeschäft von Daniel Kolter.
Abraham und Hirsch waren Juden und hatten im Ersten Weltkrieg gekämpft.

Hirsch, 1895 in Usingen im Taunus geboren, war 1923 von Frankfurt/Main nach Saarbrücken gezogen. Er wohnte in der Bismarckstraße 41 und ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen jüdischen Kaufmann, der in der sogenannten Villa Hirsch in der Scheidter Straße 114 wohnte. Rechtsanwalt Hirsch emigrierte 1935 nach Paris und wanderte 1940 nach Buenos Aires aus, dort starb er am 27. September 1974. Abraham war 1935 emigriert, lebte in Straßburg und Paris und starb am 28. Oktober 1938 in Neuilly-sur-Seine bei Paris. Ein weiterer jüdischer Rechtsanwalt war der aus Saarlouis stammende Dr. Bruno Weil, der einer der erfolgreichsten jüdischen Anwälte in Berlin werden sollte. Weil, 1883 in Saarlouis geboren, war seit 1910 bis zum Ende der Reichslandzeit Elsass-Lothringens Rechtsanwalt beim Landgericht Straßburg gewesen und dann ab 1920 Rechtsanwalt und Notar in Berlin. Er war auch publizistisch tätig und Autor einer Studie über den Dreyfus-Prozess, ein in neun Auflagen erschienenes und in mehrere Sprachen übersetztes Werk.  

Bekannt waren auch die Rechtsanwälte Dr. Walter Sender und Eduard Lehmann in der Kaiserstraße 28 a. Sender wohnte privat im Trillerweg 6 in Saarbrücken, sein Kollege Lehmann in der Scharnhorst Straße 11. Beide waren SPD-Mitglieder und vertraten als Rechtsanwälte auch Parteimitglieder und die mit der SPD verbundene Arbeiterwohlfahrt. Sie waren aktiv in der Einheitsfront gegen die Rückgliederung an Hitler-Deutschland. Beide wurden von dem im Zuge des Reichstagsbrandes verhafteten Beschuldigten Dimitroff als Rechtsanwälte benannt, vom Reichsgericht aber abgelehnt.

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