Deportation nach Gurs und andere Lager

Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager

Autor: Michael Jurich und Hans-Christian Herrmann

Aufbau des Lager Gurs 1939

Das Camp de Gurs in der französischen Ortschaft Gurs nördlich der Pyrenäen war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg das größte französische Internierungslager. Es diente zunächst zur Internierung politischer Flüchtlinge aus Spanien und ehemaliger Kämpfer des Spanischen Bürgerkrieges, darunter viele Saarländer.

Das Lager war unter der Regierung von Edouard Daladier im April 1939 auf einem feuchten, 80 Hektar großen Gelände eingerichtet worden, um provisorisch politische Flüchtlinge und Kämpfer des Spanischen Bürgerkrieges unterzubringen. Es umfasste ursprünglich 382 schlichte hölzerne Baracken, war mit einem doppelten Stacheldrahtzaun umgeben und wurde als „Empfangszentrum“ bezeichnet.  Ab Mai 1940 wurden in Gurs auch „Unerwünschte Personen“ (beispielsweise antifaschistische Emigranten aus Deutschland und als Spione verdächtigte deutsche Staatsbürger sowie zahlreiche Basken) untergebracht, welche zuerst die Volksfront-Regierung und ab Juni 1940 das Vichy-Regime in Frankreich verhaften ließ.

Unter den bereits erwähnten Unerwünschten befanden sich auch Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die wegen ihrer Herkunft oder politischen Haltung bzw. als ehemalige Interbrigadisten aus Spanien nach Frankreich geflohen waren und als ausländische Staatsangehörige einer feindlichen Nation angesehen wurden. Unter ihnen befand sich eine bedeutende Zahl deutscher jüdischer Männer und Frauen, die vor dem Naziregime geflohen waren, wie z. B. Hannah Arendt; sie war 1933 den Nazis nach Frankreich entkommen und wurde im Mai 1940 in Gurs inhaftiert.

Gurs und die Wagner-Bürckel-Aktion 1940

Über 5.000 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs verschleppt

Josef Bürckel stand für eine besonders radikale Judenpolitik. Schon als pfälzischer Gauleiter hatte er am 20. März 1933 alle nach dem 1. August 1914 aus Polen zugewanderten Juden aufgefordert, binnen weniger Tage die Pfalz zu verlassen. Als Reichskommissar für die Wiedervereinigung der Ostmark (Österreich) mit dem Deutschen Reich entwickelte er 1938 eine Vorreiterrolle bei der Judenvertreibung. Bei der Evakuierung der Roten Zone im Gau Saarpfalz verweigerte er Juden 1940 die Rückkehr in ihre Heimat. Gemeinsam mit Robert Wagner und Adolf Eichmann verständigte er sich auf die erste große Massendeportation. Zwischen der Wiesbadener Waffenstillstandskommission und der französischen Delegation war vereinbart worden, alle Juden französischer Staatsangehörigkeit aus Elsaß-Lothringen ins unbesetzte Frankreich abzuschieben. Frankreich musste diese Evakuierten aufnehmen.   

Mit der sog. „Wagner-Bürckel-Aktion“ wurden am 22. Oktober 1940 dann aber auch weit über 5.000 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Gurs verschleppt. Die Gauleiter hatten die o. g. Vereinbarung auf die Juden deutscher Staatsangehörigkeit in den Gauen Baden und Saarpfalz selbstherrlich erweitert. Die verhafteten Jüdinnen und Juden wurden in Eisenbahnwagen zusammengepfercht und nach Gurs verschleppt. Die Wagen waren plombiert worden und als „Ausgewiesene-Transporte“ deklariert bzw. bezeichnet. Akteure waren die Gestapo und französische Behörden. Eisenbahntransporte wurden von Mannheim (2335 Jüdinnen und Juden), Heidelberg (1380), Karlsruhe (900), Baden-Baden (106), Freiburg (450) und Konstanz (110) zusammengestellt. Es wurden dafür Viehwagen, teilweise auch alte französische Personenwaggons genutzt. Sie fuhren bis ins nahe Oloron-Sainte-Marie, von dort wurden die Jüdinnen und Juden mit Lastwagen ins Lager transportiert – Gurs selbst hatte keinen Gleisanschluss.

Das sich auf 2000 Meter Länge und auf 400 Meter Breite hinziehende Lager war eingeteilt in sogenannte Îlôts (französisch für: kleine Insel), zwölf Blöcke, die jeweils 25 bis 27 Baracken mit je 60 Schlafplätzen umfassten. Die 24 Meter langen und sechs Meter breiten Baracken waren ganz aus Holz gebaut, die innere Höhe betrug zweieinhalb Meter. Es waren keine Möbel vorhanden, die Koffer der Internierten dienten als Tische und Stühle. Jedes Îlôt war nochmals mit Stacheldraht umzäunt.

Gefangene mussten teilweise anfangs auf dem nackten Erdboden schlafen, später durften sie sich einen Sack mit Stroh als Unterlage füllen. Dabei wurde ihnen in den Baracken nur ein 70 Zentimeter breiter Raum zugestanden. Außer den Stellen, an denen gekocht wurde, war das Gelände unbefestigt, so dass es bei schlechtem Wetter sehr schlammig war. Die Trennung von der Familie sowie Hunger, katastrophale hygienische Bedingungen und Krankheiten (unter anderem die Ruhr) prägten die Situation. Durchschnittlich starben in Gurs täglich sieben Menschen.

Sowohl im besetzten Teil Frankreichs als auch im von Vichy regierten Teil wurden die männlichen Häftlinge zwischen 18 und 55 Jahren zur Zwangsarbeit herangezogen. Das französische Arbeitsministerium organisierte die Einteilung in Arbeitskommandos als „Groupement de travailleurs étrangers“ (GTE). Die am 22. Oktober 1940 deportierten jüdischen Saarländer waren dem 518. GTE in Annecy zugeordnet. Es waren vor allem die jüngeren Männer, die dafür herangezogen wurden.

Allein im Lager verstarben von den Inhaftierten ca. 2.000 Menschen

Allein im Lager verstarben von den Inhaftierten ca. 2.000 Menschen, im Januar 1941 starben pro Tag mindestens 20 Jüdinnen und Juden. Einigen wenigen gelang ab 1941 über internationale Hilfsorganisationen und persönliche Kontakte die Emigration in sichere Drittländer.

Verschiedene Häftlingsgruppen wurden von Gurs aus zeitweise in andere Lager in Südfrankreich überstellt:  So wurden Familien z.B. im März 1941 ins sog. Familienlager Rivesaltes verlegt.  Andere Lager waren Le Vernet, Les Milles, die beiden „Krankenhaus-Lager“ Récébédou  und Noé und das Lager  Nexon. Teilweise erfolgte auch wieder eine Rückverlegung nach Gurs. Alle diese Lager galten als „Vorstationen von Auschwitz“.

Häftlinge mit entsprechenden Geldmitteln konnten auch außerhalb des Lagers in sog. „centres de résidence assigné“ wohnen, meistens Hotels, unter Bewachung durch die Polizei. Die Menschen waren zwar dem Lager entkommen, aber der neue Aufenthaltsort bot keinen Schutz vor den Deportationen in die Konzentrationslager ab August 1942.

Zwischenstation auf dem Weg in die Vernichtungslager

Für die Mehrzahl war Gurs nur eine Zwischenstation, bevor sie ab August 1942 von der Vichy-Regierung an Deutschland ausgeliefert wurden. Die meisten wurden per Eisenbahn über das Lager Camp de Rivesaltes in das Vernichtungslager KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.

Am 2. Juli 1942 gab der französische Polizeichef für Vichy-Frankreich, René Bousquet, bei einem Treffen mit dem Höheren SS- und Polizeiführer Karl Oberg dem Drängen der Deutschen nach, die inhaftierten jüdischen Männer und Frauen an das Reich auszuliefern. Am 5. August 1942 begann die Zusammenstellung der Transporte, die über das Durchgangslager Drancy bei Paris zur Demarkationslinie bei Châlons-sur-Marne führten, wo das französische Zugpersonal gegen deutsches ausgewechselt wurde. Der weitere Streckenverlauf führte meist über Saarbrücken, Frankfurt/Main, Fulda, Erfurt, Leipzig, Dresden nach Katowice und schließlich ins KZ-Auschwitz, konnte aber je nach Kriegslage variieren. Im November 1943 wurde das Lager von den Vichy-Behörden geschlossen. Die verbliebenen Häftlinge wurden in das Camp de Nexon überstellt.

Saarländische Opfer: 74 von 136 der am 22.10.1940 aus dem Saarland deportierten Juden (KZ Auschwitz),
23 von 50 aus Baden oder der Pfalz deportierten Juden, die im Saarland geboren waren (KZ Auschwitz),
59 der 134 schon vor dem 22. Oktober  1940 emigrierten saarländischen Juden (KZ Auschwitz, Sobibor und Majdanek)

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