Neuer Friedhof
Der neue jüdische Friedhof an der Goldenen Bremm (1920 – heute)
Der neue israelitische Friedhof wurde in den Jahren 1918/20 an der Goldenen Bremm, in unmittelbarer Nähe zur französischen Grenze angelegt und dient der Synagogengemeinde Saar bis heute als Begräbnisort. Durch das Anwachsen der Saarbrücker jüdischen Gemeinde Ende des 19. Jahrhunderts war der erste, relativ kleine jüdische Friedhof in Alt-Saarbrücken an der Graf-Simon-Straße bald belegt. Da jüdische Gräber, wie es die Religion vorschreibt, für die Ewigkeit bestehen bleiben müssen, suchte man nach einem neuen, größeren Bestattungsplatz.
Die Baugeschichte
Im Zuge des Zusammenschlusses der drei bisher selbstständigen Saarstädte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach im Jahr 1909 verfolgte die neugegründete Großstadt den Plan, einen zentralen kommunalen Friedhof an der Metzer Straße in Höhe der Goldenen Bremm anzulegen, den Südfriedhof oder heutigen Hauptfriedhof. In die Neuanlage integriert war ein Ehrenfriedhof für die Veteranen des Krieges 1870/71 und die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Mit Beginn der Ausführungen im Jahr 1912 bot die Stadt auch der jüdischen Gemeinde auf dem Gelände ein abgetrenntes Areal für ihre Bestattungen an. Anfang 1917 entschied sich die Synagogengemeinde jedoch für den Erwerb eines Grundstücks auf der gegenüberliegenden Seite der Metzer Straße, zur französischen Grenze hin (Zum Zollstock). Am 2. Juli 1918 stimmte die Saarbrücker Stadtverordnetenversammlung dem Verkauf zu.
Die Entwürfe des städtischen Gartentechnikers Wilhelm Meyer
Der Gartentechniker der städtischen Garten- und Friedhofsverwaltung Wilhelm Meyer, der bereits die Gestaltung des Ehrenfriedhofes sowie die ersten Planungen des später offiziell so benannten Südfriedhofes maßgeblich bestimmt hatte, legte im März 1917 auch vier Entwürfe für die Anlage des israelitischen Friedhofes vor. Diese orientierten sich an den allgemeinen zeittypischen Gestaltungsprinzipien für Friedhöfe, die auf landschaftliche Wirkung, die Verbindung von Friedhof und Natur setzen, wie sie auch auf dem Südfriedhof umgesetzt wurden: Eine Allee führt auf ein Rondell mit zentraler Trauerhalle zu, von diesem zweigen die Haupt- und Nebenwege, rechtwinklig oder im Dreistrahl, ab. Wege wie Einfriedung sind von Bäumen gesäumt. Auch eine Skizze für die Trauerhalle mit vorgelagertem neoklassizistischem Eingangsportikus hat sich erhalten. Keiner dieser Entwürfe Meyers kam jedoch zur Ausführung. Auch blieb der Friedhof die ersten Jahre und Jahrzehnte ohne Trauerhalle und ohne Einfassung.
Einfriedung und Eingangspavillon
Die Einfriedung des Friedhofsareals durch eine stufig gegliederte Sandsteinmauer und einen repräsentativen und gleichzeitig schlichten Eingangspavillons erfolgten erst rund zehn Jahre nach der ersten Belegung des Friedhofes, im Jahr 1929. Die Entwürfe hierzu lieferte der Saarbrücker Architekt Hans Weszkalnys.
Der kubisch angelegte Eingangspavillon folgt in seiner architektonischen Klarheit dem „Neuen Bauen“ und zeigt in der Gestaltung des Eisentores, welches zwei Davidsterne zieren, letzte Anklänge an eine expressionistische Formensprache. Zudem greift Weszkalnys auf ägyptisierende Elemente zurück. Den oberen Abschluss des Portals bildet eine Pyramide, das Symbol der Ewigkeit. Den Sturz des Portals ziert – an ägyptische Inschriften erinnernd – ein hebräisches Zitat aus Prediger 1,4 „Ein Geschlecht geht, ein Geschlecht kommt, doch die Erde bleibt ewig bestehen“. Solche ägyptisierende Details tauchen seit Ende des 19. Jahrhunderts vereinzelt an jüdischen Friedhofsbauten auf und weisen unmittelbar auf den Charakter als „Totenstätte“ hin. Hans Weszkalnys waren die zeitgenössischen Vorstellungen, Diskussionen und Planungen zur Gestaltung jüdischer Friedhofsbauten mit Sicherheit bestens vertraut. Zeitgleich mit der Realisierung der Einfriedung des Saarbrücker Friedhofes erfolgte beispielsweise der Neubau der jüdischen Friedhofsanlage in Frankfurt, eine der größten auf deutschem Boden, durch Fritz Nathan. Wenn auch in Bauaufgabe und Ausmaßen kaum vergleichbar, weist der Entwurf von Weszkalnys ganz ähnliche reduzierte Gestaltungsprinzipien auf: in rotem Stein ausgeführte Baukörper, klare horizontale Linien, jeglicher Verzicht auf gliedernde oder zierende Elemente. Die zeitgenössischen Forderungen an die Friedhofsarchitektur, „weihevolle Monumentalität“ und „ernste Nüchternheit“ auszustrahlen, werden hier wie in Frankfurt in Einklang gebracht, wenn in Saarbrücken auch „im Kleinen“.
Das Fehlen einer Leichen- oder Trauerhalle in den ersten Jahrzehnten der Nutzung des Friedhofes ist nichts Außergewöhnliches. Eine solche ist für eine jüdische Bestattungszeremonie auch nicht unbedingt notwendig, sondern dient lediglich der bequemeren Abhaltung der Feierlichkeiten und dem Schutz der Trauergemeinde vor Wind und Wetter. Von allen saarländischen Friedhöfen besitzt einzig der jüdische Friedhof in Diefflen eine eigene kleine Trauerhalle in Form eines überdachten Eingangsportals.
Keine Bedenken gegen eine gemeinsame Nutzung einer Leichenhalle durch Christen und Juden
Von städtischer Seite wurde der Saarbrücker Synagogengemeinde zugesichert, die christliche Leichenhalle mit nutzen zu können. Ein solches Verfahren war auch in anderen Kommunen durchaus üblich. Ob dieses Angebot von der jüdischen Gemeinde jemals genutzt wurde, ist indes nicht belegt. Der Synagogengemeinde fehlten, vermutlich durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die Mittel zum Bau einer eigenen Halle. Dies lässt der in den Akten erhaltene Schriftverkehr vermuten. Und auch das „Nachrichtenblatt der Synagogen-Gemeinde des Kreises Saarbrücken“ vom 1. Juli 1928 schildert in seinem Beitrag „Unser Friedhof“ die Situation und räumt zugleich die Bedenken gegen eine gemeinsame Nutzung einer Leichenhalle durch Christen und Juden aus dem Weg:
„Wir sind aber in der glücklichen Lage, von einem größeren kostspieligen Bau absehen zu können, weil die Stadt, auf der anderen Seite der Straße am Eingang ihres Friedhofgeländes, noch in diesem Jahre mit dem Bau einer sehr großen Leichenhalle beginnt, deren Benutzung auch für uns ermöglicht wird. Hiergegen bestehen nicht die geringsten religionsgesetzlichen und rituellen Bedenken. Das sei trotz des Widerspruchs von unsachverständiger Seite, erneut festgestellt. Unsere Gemeinde bekommt nämlich zwei besondere Leichenzellen, die nur für sie reserviert sind, und in denen auch Gelegenheit geschaffen wird, die rituellen Waschungen (Taharo) vorzunehmen. Ferner wird die Leichenhalle keinerlei christliche Symbole oder Sprüche tragen oder höchstens so, daß sie jederzeit verdeckt werden können und schließlich wird der Weg unserer Leichen nicht durch die Gräberfelder mit ihren Kreuzreihen führen. Auch in vielen anderen Städten benutzen die jüdischen Gemeinden unter den gleichen Voraussetzungen die allgemeinen städtischen Leichenhallen.“
Vom religiösen Standpunkt wichtiger als eine Trauerhalle ist ein Wasserhahn zum rituellen Reinigen der Hände („netilat jadajim“) vor dem Verlassen des Friedhofs, sei es nach dem Besuch eines Grabes oder im Anschluss an eine Beerdigung. Eine solche Vorrichtung ist hier wie auch auf dem alten Friedhof vorhanden. Und wenn im Winter aus Vorsicht vor befürchtetem Frost das Wasser vorübergehend abgestellt ist, wird bei Beerdigungen ein Wasserkanister zum Friedhof gebracht.
Die besondere Grenzlage des Friedhofs
Die Grenzlage des jüdischen Friedhofs – heute verläuft die Friedhofsmauer 30 Zentimeter (!) entfernt von der französischen Grenze entlang der Rue de la Princesse des Ortes Spichern – führte von Anbeginn an zu manchmal außergewöhnlichen Vorfällen und Nutzungen. So kam es während der Anlage des Friedhofes zu einem Zwischenfall mit französischen Grenzposten: Bei einer Revision der Arbeiten durch den verantwortlichen Techniker und seinen Begleiter schossen französische Grenzposten auf die beiden städtischen Bediensteten, die sie für Schmuggler hielten. Nach der Volksabstimmung 1935 und dem Anschluss des Saargebietes an Hitler-Deutschland nutzten jüdische Menschen und sonstige Migranten, die nicht im Besitz von gültigen Papieren für einen Grenzübertritt waren, den Friedhof für ihre Flucht nach Frankreich. Und später, in den 1960er Jahren und den beiden nachfolgenden Jahrzehnten, entwickelte sich der Weg über den Friedhof (bzw. außerhalb über einen Trampelpfad eng an der Einfriedungsmauer vorbei) in umgekehrter Richtung zu einem beliebten diskreten Eingang für illegale Einwanderer verschiedenster Nationalitäten. Auch wird dieser Trampelpfad bis heute von Spicherer Bürgern und Bürgerinnen gerne als Abkürzung von und zur deutschen Bushaltestelle an der Metzer Straße genutzt.
Die erzwungene Rückübertragung in der NS-Zeit
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Wiederanschluss des Saargebietes an Hitlerdeutschland 1935 emigrierten die meisten jüdischen Familien. Zeitgleich erfolgte die systematische Enteignung jüdischen Besitzes. Hatte die Synagogengemeinde das Friedhofsareal im Jahr 1918 von der Stadt Saarbrücken für 0,80 Mark pro Quadratmeter erworben, so musste sie es nun, wie auch das Grundstück des alten Friedhofes, zwangsweise für 0,50 Mark pro Quadratmeter an die Stadt zurück verkaufen. Die beiden diesbezüglichen in Abschriften der bei der Synagogengemeinde erhaltenen Verträge datieren vom 21. September 1940 und vom 25. September 1941. Für den alten Friedhof überwies die Stadt einen Betrag von 2210,30 Reichsmark auf das Konto der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, für den neuen Friedhof 4276,50 Reichsmark. Die erzwungene Rückübertragung jüdischer Friedhöfe an die Kommunen war gängige Praxis im Deutschen Reich, denn diese wurden, so die Ideologie, in Zukunft nicht mehr benötigt und das Gelände konnte anderen Zwecken zugeführt werden.
Dem Schicksal der Einebnung entging der Saarbrücker Friedhof. Von Zerstörungen und Schändungen blieb er indes nicht verschont. Ein antisemitischer Vorfall, der im Frühjahr 1934 stattfand, verdient Erwähnung. Der damalige Rabbiner der Saarbrücker Gemeinde, Schlomo Rülf, berichtet darüber in seinen Erinnerungen: „In einer Nacht war an der Mauer unseres Friedhofes mit riesigen Buchstaben in schwarzer (sic!) Ölfarbe die Inschrift angemalt worden: „DER JUDEN TOD BESEITIGT SAARLANDS NOT“. (…)Die Stadtverwaltung rief bei mir an: Jedermann verurteile diese Gemeinheit, und in wenigen Stunden werde die Inschrift beseitigt sein. Ich sagte „Besten Dank!“ hängte ab und bestellte sofort ein Taxi. Noch bevor der schöne Spruch von den Arbeitern der Stadt weggekratzt werden konnte, war ich draußen und ließ die Mauer fotografieren. Das Bild erschien im Nachrichtenblatt, und ich schickte Klischee auch an ausländische Zeitungen.“
Die Friedhofsgeschichte nach der Befreiung 1945
Nach Ende des Krieges wurde der Zwangsverkauf des Friedhofes im Zuge eines Restitutionsverfahrens vor dem Landgericht Saarbrücken für nichtig erklärt. Die Verhandlung endete mit einem Vergleich und die Synagogengemeinde Saar wurde als Rechtsnachfolgerin der Vorkriegsgemeinde(n) mit Vertrag vom 26. November 1965 endgültig wieder rechtmäßige Eigentümerin ihrer Friedhöfe.
Der verwahrloste Friedhof wurde unmittelbar nach Kriegsende von der Stadt wieder Instand gesetzt und diente den nach Saarbrücken zurückgekehrten jüdischen Familien seither wieder als Begräbnisort. Die Synagogengemeinde erhielt von der saarländischen Landesregierung fortan regelmäßige Zuschüsse, um die notwendigen Garten- und Sanierungsmaßnahmen auf dem Friedhof durchführen zu können. Und dennoch kam es auch in den folgenden Jahren zu Schändungen über deren Motive nur spekuliert werden kann.
Nach der allmählichen Konsolidierung der Synagogengemeinde konnte zu Beginn der 1960er Jahre eine eigene Trauerhalle, unmittelbar rechts an die Toranlage anschließend, errichtet werden. Bei dem von Willi Schlotthauer 1962 entworfenen Gebäude handelt es sich um einen unspektakulären rechteckigen Saal, der mit Bänken, Katafalk und einem Rednerpult ausgestattet ist. Der Bau folgt in seiner unauffälligen Schlichtheit noch ganz den Gestaltungsprinzipien jüdischer Gemeindebauten der Nachkriegszeit, die sich kaum als solche zu erkennen geben, obwohl andernorts zeitgleich bereits wieder repräsentative Neubauten entstehen, wie in Hannover, Dortmund oder Augsburg.
Im Zuge des Baus der Bundesautobahn Anfang der 1960er Jahre, die unmittelbar rechts an dem Friedhof vorbei führt, trat die Gemeinde einen seitlichen Geländestreifen des noch nicht belegten Friedhofteiles an den Bund ab. Im Tausch erhielt sie das hinter der rückseitigen Einfriedungsmauer angrenzende Grundstück.
Durch die in den 1990er Jahren einsetzende Zuwanderung von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion stieg die Mitgliederzahl der Synagogengemeinde Saar stark an. Der Platz auf dem Friedhof reichte nun für die wachsende Zahl der Bestattungen nicht mehr aus und das Friedhofsareal wurde um das außerhalb der Einfriedungsmauer liegende Grundstück erweitert.
Der jüdische Friedhof als Spiegel sozialer und kultureller Wandlung
Der neue jüdische Friedhof kommt in seiner Anlage ohne die von Wilhelm Meyer ursprünglich vorgesehenen landschaftsgliedernden Gestaltungsprinzipien aus. Von einem einzigen Hauptweg, der entlang der rechten Einfriedungsmauer verläuft, zweigen alle, heute durch hohe Baumreihen gesäumten Wege der Grabreihen links ab.
Die Grabmäler bilden die große Bandbreite der Gestaltungsmöglichkeiten ab, vom schlichten Stein eines Einzelgrabes bis hin zum repräsentativen Familiengrab in antikisierenden Formen. Wie bereits auf dem alten Friedhof spiegeln sich sozialer Stand und Zeitgeschmack – entgegen der ursprünglichen jüdischen Tradition gleichförmig gebildeter, schmuckloser Grabtafeln – auch hier wider.
Zahlreiche der heute aufgestellten Grabsteine wurden nachträglich, meist in den 1950er Jahren, neu hergestellt. Einige tragen neben der Inschrift für die Verstorbenen und auch hier Bestatteten eine Gedenkinschrift für im Krieg ermordete oder im Ausland verstorbene Angehörige. Vereinzelt wurden auch nur entsprechende Gedenktafeln aufgestellt, ganz ohne Bestattung.
Auffallend ist, dass in den ersten Grabreihen, die vor dem Holocaust in den 1920er und 1930er Jahren angelegt wurden, die Grabsteine in der Regel aufrecht stehen, wohingegen die nach dem Krieg angelegten Gräber fast ausschließlich liegende Grabplatten aufweisen. Dies erklärt sich nicht aus veränderten religiösen Bräuchen oder kulturellen Gepflogenheiten, sondern erfolgte allein aus pragmatischen Gründen: Die Repräsentanz der 1946 neu gegründeten Synagogengemeinde hatte gleich zu Beginn ihrer Amtszeit den Beschluss gefasst, in ihrer Friedhofssatzung nur noch liegende Grababdeckungen zuzulassen, da solche für Schändungen weniger anfällig sind. Sie können zumindest nicht umgestoßen werden.
Ein kultureller Wandel in Bezug auf die Sepulkralkultur wird indes sichtbar, sobald man den erweiterten Friedhofsteil hinter der alten Einfriedung betritt. Dort liegen überwiegend Verstorbene der aus den GUS-Staaten zugewanderten russischsprachigen Gemeindemitglieder, die mittlerweile die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft des Saarlandes bilden. Ihre Grabsteine erkennt man daran, dass sie statt hebräischer und deutscher Schriftzüge, Inschriften in kyrillischen Buchstaben aufweisen. Zudem schmücken, wie es in osteuropäischen Ländern Tradition ist, üppiger für unsere Region unüblicher Blumenschmuck, oft auch künstliche Blumen, vielfältiger Zierrat wie kleine Engelsfiguren oder Porträts der Verstorbenen die Grabplatten. Diese Art der Grabgestaltung und Totenverehrung weicht stark von den traditionellen jüdischen Friedhofs- und Bestattungsriten und den Vorschriften der 2014 insbesondere deswegen neu erarbeiteten Friedhofsordnung der Gemeinde ab und führt daher zu Konflikten zwischen der um Wahrung der Jüdischkeit bestrebten Gemeindeleitung und einigen ihrer Gemeindemitglieder.