Der Toraschmuck

Autoren: Ruth Bauer und Marcel Wainstock

Die Tora ist für Juden das heiligste und wichtigste Buch der hebräischen Bibel. Sie besteht aus fünf Büchern, den „Fünf Bücher Moses“. Unabhängig von bibelkritischen Erkenntnissen über die historische Entstehungszeit des Textes hält die jüdische Tradition am Glauben fest, dass die Zehn Gebote, die Teil der Tora sind, dem jüdischen Volk am Sinai von Gott durch Moses übermittelt wurden. Die Tora enthält Erzählungen, Vorschriften, Gebote, Verbote und Regeln, an die sich das jüdische Volk halten soll (namentlich die Zehn Gebote). Für gläubige Juden ist die Tora die ewig gültige Offenbarung Gottes und eine verbindliche Lebensweisung. Der vollständige Text der Tora wird abschnittsweise im Laufe eines jüdischen Jahres während des Gottesdienstes in der Synagoge am Schabbatmorgen, am Schabbatnachmittag sowie an Feiertagen öffentlich vorgelesen (außerdem auch noch wöchentlich am Montag und Donnerstag).

Der Begriff Tora bezeichnet zudem den physischen Gegenstand, die Schriftrolle, die Torarolle (Sefer Tora), und damit das Pergament, auf dem der biblische Text geschrieben steht. Bis heute werden die im Gottesdienst verwendeten Torarollen von eigens ausgebildeten Schreibern (Sofrim) nach streng festgelegten Regeln von Hand mit einer Feder auf Hebräisch geschrieben.

Für die Synagogengemeinde Saar fertigte Alice Bloch drei Garnituren von Thoraschmuck, eine vergoldete und zwei silberne. - Foto: Thomas Störmer

Für die Synagogengemeinde Saar fertigte Alice Bloch drei Garnituren von Thoraschmuck, eine vergoldete und zwei silberne. - Foto: Thomas Störmer

Für die Synagogengemeinde Saar fertigte Alice Bloch drei Garnituren von Thoraschmuck, eine vergoldete und zwei silberne. - Foto: Thomas Störmer

Aus dem außergewöhnlich hohen Stellenwert der Tora im Judentum leitet sich der respektvolle, umsichtige und ehrfürchtige Umgang mit dem Gegenstand „Torarolle“ ab. So wird eine Torarolle nicht „nackt“ in den Toraschrank gestellt, sondern stets mit einem „Mantel“ bekleidet und mit dreierlei Requisiten geschmückt. Dazu werden zunächst die beiden hölzernen Rollstäbe, an denen die jeweiligen Enden der Pergamentrolle befestigt sind, nach Innen gedreht und mittels eines mit Stoff überzogenen Gummibandes, versehen mit einer  Schnalle, zusammengehalten.  Im Anschluss wird der Torarolle der Toramantel, eine Art dekoriertes Stoffetui, das am oberen Ende zwei Aussparungen für die Griffe der Rollstangen hat und unten offen ist, übergestülpt. Abschließend werden ihr die schmückenden Requisiten umgehängt, beziehungsweise aufgesteckt: das Toraschild (Tas), der Torazeiger (Jad) und als Bekrönung die Toraaufsätze (Remonim). In dieser Art festlich umhüllt und geschmückt wird sie im Toraschrein aufbewahrt und nur zu den gottesdienstlichen Lesungen herausgenommen. Die meisten Synagogen besitzen mehrere Torarollen, oft werden sie von Gemeindemitgliedern aus besonderem privaten Anlass gestiftet. Für vermögende Gemeinden gilt es als eine Art religiöse Prestigeangelegenheit, möglichst viele reich geschmückte Torarollen zu besitzen.

Der Tas, der Toraschild, erinnert an den Brustschild des Hohen Priesters im einstigen Tempel. Form und Größe sind variabel, ebenso das Material. Der Tas wird mittels einer an ihm befestigten Kette um die oberen Holzgriffe der Torarolle gehängt. Auf dem Toraschild angebracht ist, neben dem dekorativen Schmuck, meist ein kleiner Rahmen in Größe einer Visitenkarte, in deren Mitte eine kleine Metallplatte eingeschoben werden kann, auf der der Name eines Feiertags eingraviert ist. Mit dieser wird eine Torarolle in Vorbereitung für die Lesung an dem betreffenden Feiertag markiert.

Nach dem Schild wird der Tora der Torazeiger (Jad) umgehängt, ein Stab, an dessen vorderem Ende sich eine kleine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger befindet. Da die beschriebene Seite des Pergaments der Torarolle nicht mit dem Finger berührt werden soll, der feucht sein und so die Schrift verwischen könnte, benutzt der Vorleser diesen Zeiger, um die Worte und Zeilen verfolgen zu können.

Tora, ein „königlicher“ Status

Abschließend wird die Tora, entsprechend ihrem „königlichen“ Status, eine Bekrönung aufgesetzt. Oft besteht diese aus zwei einzelnen Aufsätzen (Rimonim), die die oberen Griffe der Rollstäbe schmücken.

Krone, Rimonim und manchmal auch der Schild sind mit kleinen Glöckchen versehen, die erklingen, wenn die Tora bewegt wird. Sie erinnern an die Glöckchen, die sich am Saum des Kleides des Hohepriesters befanden und läuteten, wenn dieser voran schritt. Die Gemeinde sollte hören, wenn er nahte. So verhält es sich im Prinzip auch bei der Tora: Respekt und Hochachtung ihr gegenüber werden durch das Erklingen der Glöckchen eingefordert. Die Beter sollen auf die Tora aufmerksam gemacht werden und sich erheben, wenn diese vor und nach der Lesung an ihnen vorbei durch die Synagoge getragen wird.

Alice Bloch hat für die Saarbrücker Synagoge drei Garnituren Toraschmuck angefertigt, zwei massiv silberne und eine dritte aus vergoldetem Silber.

Die vergoldete Garnitur

Die vergoldete Garnitur bildet in ihrer Gestaltung eine Einheit mit dem Toraschrein und dessen rotem Vorhang. Bei diesem Entwurf fasst Alice Bloch die Keta Tora wörtlich und setzt der Tora tatsächlich eine Krone auf. Die geschlossene Krone trägt über ihrer kannelierten Basis ein in sechs Ovale eingefügtes, schräg verlaufendes Flechtmuster, das von den aus Palmblättern geflochtenen Körbchen inspiriert scheint, welche die Feststräuße von Sukkot, dem Laubhüttenfest, zusammenhalten. In den sechs Aussparungen zwischen den Ovalen brachte sie jeweils ein Glöckchen an. Den krönenden Abschluss bilden zwei kleine Gesetzestafeln, entsprechend den Tafeln auf dem Toraschrein.  

Bei den beiden zylindrischen Aufsatzstäben zeigt sich erneut die technische Intelligenz der Künstlerin: Beide sind innerhalb der Krone beweglich an einer Metallschiene befestigt und lassen sich verschieben, so dass ihr Abstand variabel an den Abstand der Griffe verschiedener Torarollen angepasst werden kann. Auf dem Toraschild griff Alice Bloch exakt das bereits beschriebene Motiv des roten Vorhangs mit den beiden, die Säule umfassenden Löwen erneut auf. An dem Knauf des Torazeigers wiederholt sich das Flechtmuster der Krone.

Die silberne Garnitur mit dem Zehn-Gebote-Schild

„Und dafür, dass er deine Väter geliebt, und erkoren seinen Samen nach ihm, und dich herausgeführt mit seinem Antlitze, mit seiner großen Kraft, aus Ägypten“

Bei diesem Entwurf bezog sich Alice Bloch für den Schild erneut auf das Motiv der Gesetzestafeln. Die beiden schlicht gehaltenen Tafeln sind in einen Rahmen eingefügt, der die Assoziation an die Anlehnung der Tafeln an den Berg Sinai zulässt. Seitlich ist ein Dekor aus drei flachen, glatten Ringen angebracht, ein Gestaltungsmotiv, das sich bei zahlreichen ihrer Werke immer wieder findet. Die beiden dazu gehörigen, mit Glöckchen versehenen Rimonim greifen das Dekor des Schildes auf, wobei den drei umlaufenden mattierten Ringen – entsprechend dem Ewigen Licht – hebräische Texte eingraviert sind:

Ein Aufsatz trägt Zitate aus dem Deuteronomium 4:44 und 44:37: „Und dies ist die Lehre, die Mosche den Kindern Israel vorgelegt hat“ sowie „Und dafür, dass er deine Väter geliebt, und erkoren seinen Samen nach ihm, und dich herausgeführt mit seinem Antlitze, mit seiner großen Kraft, aus Ägypten“. Den anderen Aufsatz ziert ein Zitat aus den Sprüchen Kap. 3:18 „Ein Baum des Lebens ist sie den an ihr Festhaltenden, und die sie erfassen, sind seliggepriesen“. Beide Texte sind hier gekürzt, werden von der Gemeinde jedoch vollständig gesungen, nachdem aus der Tora vorgelesen wurde und diese vor dem Wiederankleiden noch teilweise aufgerollt ist, sodass mindestens drei Spalten des Textes sichtbar sind und hoch erhoben der Gemeinde gezeigt werden. Der dazugehörige Torazeiger zeigt am Knauf erneut das Motiv der drei Ringe.

Die silberne Garnitur mit rundem Schild

Für diesen Toraschmuck mit seinem für einen Toraschild ungewöhnlichen Entwurf greift Alice Bloch das Motiv eines kreisrunden kriegerischen Schutzschildes auf. Die konkav durchbrochene Ausführung des Schildes wiederspricht jedoch der angenommenen beschützenden Funktion. Das in erhabenen Buchstaben auf dem inneren Band zu lesende Zitat aus dem Morgengebet des Schabbat – gesprochen in dem Moment, in dem die Tora aus dem Schrein herausgehoben wird – löst das Rätsel: Lob Gottes und Beachtung der Tora sind das Thema, keine kriegerische Kampfsituation. Der trotz seiner filigranen Durchbrüche kompakte, aber keinesfalls schwer wirkende Entwurf könnte auch für die Gestaltung einer Brosche dienen, einem Brust-Schmuckstück für Damen, hier als Schmuckstück für eine ganz besondere Dame: die Tora.

Die mit unterschiedlich langen Ketten angefügten Glöckchen bilden als Saum einen geraden Abschluss. Der dazugehörige Zeiger besitzt an seinem Kugelknauf eine umlaufende Einkerbung, die das Konkave des Schildes wieder aufnimmt. Die analog zum Schild durchbrochen gearbeiteten und mit Glöckchen versehenen Rimonim sind jeweils auf ihrem mittleren Band mit den Worten „Bereschit/Im Anfang“, dem ersten Wort der Tora und ihrem letzten Wort „Israel“ beschriftet. Mit anderen Worten: Der Rimon „Bereschit“ ist für den rechten Rollstab auf der Seite des Anfangs des Toratextes vorgesehen, während der andere links am Ende des Textes aufgesetzt werden soll. Eine ebenso einfache wie ausgefallene Dekoration, die gleichzeitig einen technischen Bezug und eine Information zur Nutzung des Gegenstandes beinhaltet.