Autohandel
Mobilität und Modernität bilden für die Zeit des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine feste Verbindung. Zweiräder machten Menschen mobil, Flugzeuge starteten und landeten auf dem Flughafen St. Arnual und mit dem Zeppelin konnten reiche Leute nach Amerika fliegen. Aber auch das Automobil kam in Fahrt.
Seine Geschichte ist mit einer Reihe von herausragenden jüdischen Persönlichkeiten verbunden. Juden erkannten Innovationen und setzten sie erfolgreich um. Dies gilt für den Automobilhandel und die Automobilindustrie. Das 1886 von Carl Benz und Gottlieb Daimler erfundene Automobil war in Deutschland wie in Europa anfangs ein Spielzeug für reiche Leute.
Mit Henry Fords einfacher Konstruktion des T-Modells, kostengünstig am Fließband gefertigt, begann dann ab 1908 die Demokratisierung des Automobils. Sein Name und die damit verbundene Produktionsweise, der Fordismus, verkörpert die Moderne und sollte nahezu alle industriellen Arbeitsprozesse des 20. Jahrhunderts revolutionieren.
Jener Henry Ford war übrigens ein bekennender Antisemit, dessen Publikation auch in deutscher Sprache als „Der internationale Jude“ erschien, ab 1921 vom Leipziger Hammer-Verlag vertrieben. Die Idee der automobilen Massenproduktion und des Fließbandes setzte in Europa mit André Citroën (1878-1935) ein Jude um.
Juden und ihre vergessene Rolle bei der Demokratisierung des Automobils in Europa
André Citroën (1878-1935) war der Sohn eines niederländischen jüdischen Diamantenhändlers und einer polnischen Jüdin. Im Ersten Weltkrieg hatte er Handgranaten produziert und Erfahrung in der Fließbandproduktion gewinnen können, die er später dann im Automobilbau weiterentwickeln sollte.
Citroën wurde in den 1920er Jahren zum größten Automobilproduzenten Europas. Technische Innovationen wie die Ganzstahlkarosserie und der Vorderradantrieb sind mit ihm verbunden. Seiner Zeit voraus war er auch im Marketing, erinnert sei an die Illumination des Eiffelturms oder die Expeditionsfahrten seiner Kettenfahrzeuge nach China.
Zahlreiche jüdische Kaufleute und auch Ingenieure sind mit Meilensteinen der Automobilgeschichte verbunden, viele dieser jüdischen Männer waren ihrer Zeit voraus und waren fasziniert von der Idee der Massenmotorisierung.
Zu den vergessenen Juden, die Automobilgeschichte geschrieben haben, gehören u. a. Lucien Rosengart (1881-1976), Siegfried Marcus (1831-1898), Edmund Rumpler (1872- 1940), Josef Ganz (1898-1967) und Adolf Rosenberger (1900-1967).
Zu nennen ist auch Paul Jaray, einer der Väter der Aerodynamik im Automobilbau und der Stromlinienform, 1899 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Adolf Járay in Wien geboren. Auch ihn strichen die Nazis wie viele andere jüdische Ingenieure, die Wegbereiter des Automobils waren, aus dem Gedächtnis.
Dazu gehörte auch der von Siegfried Marcus (1831–1898) konstruierte Marcus-Wagen, lange Zeit als das älteste Automobil betrachtet. Marcus galt als ein vielseitiger Techniker und Erfinder. Geboren im mecklenburgischen Malchin kam er 1852 nach Wien. Zu seinen Erfindungen zählte 1883 ein „Magneto-elektrischer Zündapparat für Explosionsmotoren“, insgesamt ist sein Erfindungsreichtum mit weit über 100 Patenten verbunden. Unabhängig davon, wie man seine Erfindung bewertet und auf wann man sie datiert, den Nationalsozialisten war es wichtig, ihn totzuschweigen und das für ihn errichtete Denkmal im Wiener Resselpark zu beseitigen.
Nicht zu vergessen die Simson-Werke im thüringischen Suhl, 1856 von der jüdischen Familie Simson gegründet, Waffenschmiede und seit 1907 auch Produzent von Luxuswagen wie dem Simson Supra – auf Betreiben von NSDAP Gauleiter Fritz Sauckel enteignet und nach 1945 ein zweites Mal von den Kommunisten in der SBZ/DDR.
Der jüdische Geschäftsmann und Diplomat Jellinek und der Markenname Mercedes
Nicht zu vergessen ist auch Emil Jellinek (1853-1918). Jellinek war für Österreich-Ungarn in Frankreich als Diplomat tätig und von der neuen Erfindung des Automobils begeistert. Ab 1898 handelte er mit Daimler-Motoren in Frankreich. Seit 1899 nahm er an Autorennen in Nizza teil. Bei einem Autorennen im Jahr 1900 siegte ein Daimler-Fahrzeug. Jellinek benutzte dabei den Vornamen seiner Tochter Mercedes. Nicht eindeutig zu klären ist, ob er den siegreichen Wagen als Mercedes bezeichnete oder den Fahrer. Unabhängig davon, er verwandte den Namen ab April 1900 für von ihm verkaufte Daimler.
Mercedes wurde zur Produktbezeichnung für eine neue, von ihm angeregte Fahrwerks- und Motorkonstruktion, verkauft unter dem Namen Daimler-Mercedes. Für die Daimler-Motoren-Gesellschaft wurde im September 1902 der Name Mercedes geschützt. Als sich 1926 Benz und Daimler zusammenschlossen, entstand der Markenname Mercedes-Benz.
Der Blick auf das jüdische Leben in Saarbrücken zeigt Parallelen. Auch hier sind jüdische Persönlichkeiten Pioniere des Automobilhandels. Der aus einer jüdischen Familie aus Saarlouis stammende Felix Hanau war der größte Autohändler des Saargebietes in der Völkerbundzeit. Ein weiterer großer jüdischer Händler war die Ford-Generalvertretung für das Saargebiet von Peick & Weil.
Felix Hanau – größter Autohändler des Saargebiets
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg verkaufte der jüdische Geschäftsmann Louis Apfelbaum Renault-Automobile in Saarbrücken.Nach der Einführung des französischen Franken 1923 expandierte der Autohandel im Saargebiet. Zentrum war Saarbrücken. Zu den besonders erfolgreichen Händlern zählten Juden, darunter auch Peick & Weil in der Dudweiler Straße 113 als offizieller General-Vertreter für Ford.
Herausragend der aus Saarlouis stammende Felix Hanau. Er galt als größter Autohändler des Saargebietes mit einer großen Citroën-Garage in Saarbrücken. Hanau soll 1899 auch der erste Fahrlehrer des Saargebietes gewesen sein und hatte die Fahrrad- und Maschinenindustrie AG in Saarbrücken gegründet. Der begeisterte Radsportler verkaufte ab den 1920er Jahren neben Fahrrädern vor allem Automobile. Seine Firma war in Saarbrücken seit 1918 ansässig, zunächst in der Trierer Straße 28, dann 47 und ab 1927 in der Mainzer Straße 77. Hanau war ein mobilitätsbegeisterter Mensch, organisierte 1910 erstmals die Saarlouiser Flugtage und entwickelte sich rasch zum wohl erfolgreichsten Automobilhändler des Saargebietes.
Begonnen hatte er mit dem Verkauf von Fahrrädern 1894 in Saarlouis. Zusätzlich produzierte der Radrennsportler auch selbst Fahrräder in Saarlouis-Binshof. Nach dem Ersten Weltkrieg ging er nach Saarbrücken und wurde 1923/24 Generalvertreter der damals aufstrebenden Marke Citroën. Citroën war in Frankreich Marktführer und konkurrierte in dieser Rolle mit Renault. Im Saargebiet der Völkerbundzeit, das mit Frankreich durch eine Wirtschafts- und Währungsunion verbunden war, war Citroën ebenfalls die meist verkaufte Marke.
Hanau setzte pro Jahr zwischen 1000 bis 1200 Kraftfahrzeuge ab und unterhielt ein Einkaufsbüro in Paris, 87 rue Boileau im XVI. Arrondissement. Zu den besten Zeiten beschäftigte er bis zu 100 Mitarbeiter.
Schon 1933 erlebte Hanau die Unterwanderung seines Betriebes durch NS-Aktivisten, er vermietete deshalb seine Firma und emigrierte am 8. November 1935 nach Frankreich. Hanau hielt sich zunächst im Großraum Paris und später in Lyon auf. Es gelang ihm in Frankreich zu überleben, nach 1945 kehrte er an die Saar zurück und starb 1965 mit über 88 Jahren in Saarbrücken. Sein Sohn, der Rechtsanwalt Dr. Fred Hanau, kämpfte für eine gerechte Entschädigung seines Vaters.
Die Saargruben hatten sich Hanaus Betrieb angeeignet und nach 1945 die Régie des Mines de la Sarre. Dem Autogeschäft blieb Hanau bis ins hohe Alter treu. Er und sein Sohn sollen zwischen 1955 bis ca. 1968 den Import von Renault-Fahrzeugen ins Saarland durchgeführt haben, erst danach übernahm die zuerst in Baden-Baden und später in Brühl bei Köln ansässige Deutsche Renault AG diese Aufgabe für das Saarland.
Langjähriger Prokurist bei Hanaus Garage war Jose(f)ph Linz, am 20. Juli 1895 in Rüsselsheim geboren. Er kam von Rüsselsheim nach Saarbrücken und war hier seit dem 15. Dezember 1921 gemeldet. 1925 zog auch seine Frau Julie, geborene Stoll, nach Saarbrücken. Das Paar hatte zwei Kinder und wohnte unter anderem in der Uhlandstraße 21.
Josef Linz wurde am 29. März 1944 von der SS-Division Brehmer ermordet. Linz war 1935 nach Frankreich emigriert und fand in einer Hemdenfabrik bei Strasbourg Arbeit, andere Quellen berichten auch von einer Beschäftigung bei einer Strasbourger Citroën-Vertretung. Mit Hitlers Überfall auf Frankreich floh er mit seiner Familie ins Perigord. Dort versteckte sich die Familie Linz, wurde aber im Frühjahr 1944 entdeckt, als die Division Brehmer die Landschaft gegen die Résistance durchkämmte. Josef Linz war zusammen mit anderen Juden von einem Gemeindesekretär denunziert und dann von der Division Brehmer erschossen worden. Seine Tochter überlebte und blieb in Frankreich.
Peick & Weil als Ford-Generalvertreter für das Saargebiet und weitere jüdische Autohändler
Peick & Weil war in der Großherzog-Friedrich-Straße 16-22 und später in der Dudweiler Straße 113 als offizieller General-Vertreter für Ford im Saargebiet tätig. Die Familie Weil hatte in Merzig in den 1850er Jahren einen Lebensmittelhandel aufgebaut, der im Lauf der Jahre wohl zu einer der größten Lebensmittelgroßhandlungen des Saargebietes avancierte mit einem weiteren Standort in Saarburg und auch in der Dudweiler Straße 113 in Saarbrücken. Aus dem über die Jahre erarbeiteten Vermögen aus dem Kolonialwarengroßhandel entstand unter Leo Weil dann die Beteiligung an der 1925 gegründeten Ford-Garage.
Die Familie Weil sah die Autobranche wachsen. 1930 waren bereits 11.000 Kraftfahrzeuge im Saargebiet zugelassen und im Saarbrücker Verkehr waren Lastwagen, Busse und Personenwagen präsent.
Leo Weil verließ wegen des wachsenden Antisemitismus am 18. Dezember 1934 Saarbrücken, über Frankreich emigrierte er nach Palästina. Dort lebte er in ärmlichen Verhältnissen als Taxifahrer.
Ein weiteres jüdisches Autogeschäft war das der Firma Hanau & Spira. Sie war auf mehrere Saarbrücker Adressen verteilt, die Dudweiler Straße 35, die Bahnhofstraße 93 und die Kaiserstraße 5. Inhaber waren der 1897 in Lebach geborene jüdische Kaufmann Hugo Hanau und der 1883 in Paris geborene jüdische Kaufmann Henry Spira, der mit Klotilde Hanau, der Schwester von Hugo Hanau, verheiratet war. In der Kaiserstraße 6 betrieb Ernst Levy ein Geschäft für Auto-Ersatzteile und Zubehör, spezialisiert auf Akkumulatoren, Kolben und Kolbenringe und andere Ersatzteile der Marken Renault, Fiat und Citroën.