Bejarano Esther

Autor: Michael Jurich

Esther Bejarano  wurde am 15. Dezember 1924 als Esther Loewy in Saarlouis geboren, 1925  zog sie mit ihren Eltern nach Saarbrücken, sie starb am 10. Juli 2021 in Hamburg.

Esther Loewy wurde als jüngstes von vier Kindern des aus Berlin stammenden Kantors und Lehrers Rudolf Loewy und der aus Thüringen stammenden Lehrerin Margarete Loewy, geb. Heymann, in Saarlouis geboren.  1925 zog die Familie nach Saarbrücken, da ihr Vater dort eine Stelle als Oberkantor angenommen hatte. Auch nach den antisemitischen Vorfällen vor und nach der Rückgliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich hielt der Vater den Nationalsozialismus für eine vorübergehende Phase und entschied sich im Gegensatz zu vielen anderen Juden für einen Verbleib in Deutschland. 1936 zog er mit der Familie nach Ulm, wo er eine neue Stelle als Kantor gefunden hatte. In der Nähe von Ulm besuchte Esther Loewy das jüdische Landschulheim Herrlingen. Im jüdischen Kulturbund hatte sie mehrere Auftritte, sie sang und steppte wie Shirley Temple, sang aber auch deutsche Schlager und jüdische Lieder. 1937 wanderten die beiden ältesten Geschwister aus: ihr Bruder Gerhard  in die USA, die älteste Schwester Tosca nach Palästina. Auch ihre zweite Schwester Ruth ging ein Jahr später in ein Vorbereitungslager für eine Auswanderung nach Palästina. Damit blieb Esther Loewy alleine bei ihren Eltern, die nach Neu-Ulm zogen.

Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verlor ihr Vater endgültig die Hoffnung auf eine Verbesserung der politischen Lage. Er wurde verhaftet, entkam einer Überweisung in das Konzentrationslager Dachau. Da er als „Halbjude“ galt, wurde er drei Tage später aus dem Gefängnis entlassen. Nun bereitete er seine Familie auf eine schnelle Ausreise vor. Schließlich wurde er nach Breslau versetzt. Esther kam nach Berlin und besuchte dort zunächst die Jugend-Aliah-Schule, anschließend das zionistische Vorbereitungslager für eine Auswanderung nach Palästina „Gut Winkel“, das der Jewish Agency for Israel gehörte. Als dieses geschlossen wurde, kam sie in ein weiteres Lager nach Ahrensdorf. Der Kriegsbeginn verhinderte eine Ausreise. Im Juni 1941 wurden alle Auswanderungslager geschlossen und Loewy kam ins Landwerk Neuendorf, wo sie als Zwangsarbeiterin in einem Fleurop-Blumenladen in Fürstenwalde arbeiten musste.

Ihre Eltern wurden im November 1941 in Kowno von den Nationalsozialisten ermordet, ihre Schwester Ruth im Dezember 1942 im KZ Auschwitz.

Kurz darauf verschärften sich auch die Zustände im Landwerk Neuendorf sowie die Bestimmungen für die Arbeit im Blumengeschäft, wo sie nur noch im Lager arbeiten durfte. Im April 1943 wurde das Arbeitslager geschlossen und sie kam in das Berliner Sammellager in der Großen Hamburger Straße. Von dort wurde sie am 20. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort wurde ihr die Häftlingsnummer 41948 eintätowiert. Hier musste sie in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Für einige Blockälteste trug sie Lieder von Schubert, Mozart oder Bach vor und erhielt so zusätzliche Essensrationen. Die Blockältesten schlugen sie daher für das im Aufbau befindliche Mädchenorchester von Auschwitz vor. Sie wurde als Akkordeonspielerin verpflichtet, da es kein Klavier gab, obwohl sie noch nie ein Akkordeon in der Hand gehabt hatte. Im Lager erkrankte sie an Bauchtyphus, Keuchhusten und Avitaminose.

Nach einem halben Jahr im Orchester wurden Juden mit „arischem Blut“ in Auschwitz gesucht, Loewy meldete sich und wurde als „Viertelarisch“ anerkannt. Sie wurde zusammen mit etwa 70 anderen Frauen im November 1943 ins KZ Ravensbrück verlegt, wo sie die Häftlingsnummer 23139 erhielt. Als Zwangsarbeiterin musste sie im Siemenslager Ravensbrück Montagearbeiten durchführen. Nach zwei Jahren Arbeit wurde sie im Januar 1945 arisiert, das heißt, ihr wurde der Judenstern abgenommen und sie erhielt einen roten Winkel, der eigentlich die politischen Gefangenen kennzeichnete. Sie durfte Essenspakete und Kleidung erhalten und hatte mehr Freiheiten im Lager.

Als die Alliierten immer näher rückten, war Loewy gezwungen, an den berüchtigten Todesmärschen von KZ-Häftlingen teilzunehmen. Von Ravensbrück ging es zum KZ-Außenlager Malchow und dann weiter von der Front weg. Zwischen Karow und Plau am See konnte sie zusammen mit Freundinnen fliehen. Am 3. Mai 1945 erlebte sie in Lübz die Befreiung durch US-amerikanische Truppen. Dann kam sie nach Lüneburg in ein Displaced Persons Camp und suchte nach Möglichkeiten, aus Deutschland auszureisen. Der Weg führte sie zunächst nach Bergen-Belsen, wo sie auch erfuhr, dass ihre Eltern ermordet worden waren. Lebende Verwandte konnte sie in Deutschland nicht finden.

Nach einigen Wochen auf dem Gehringshof bei Fulda, einem Lager zur Vorbereitung auf die Auswanderung,  reiste Esther Loewy Mitte August 1945 über Marseille nach Palästina und erreichte am 15. September 1945 Haifa, wo ihre ältere Schwester Tosca lebte.

Nach einem zweijährigen Gesangsstudium in Tel Aviv schloss sie sich dem Arbeiterchor Ron an. 1948 wurde sie zum Militärdienst eingezogen und in Jaffa stationiert. Am 23. Januar 1950 Heirat mit dem Lastwagenfahrer Nissim Bejarano, zwei Kinder (1951 und 1952). Als die Kinder älter wurden, begann sie, als Musiklehrerin zu arbeiten, zunächst im Kindergartenbereich, dann mit eigener Blockflötenschule, später im Schulunterricht einer Mittelschule.

Da sie das Klima in Israel nicht vertrug, beschloss die Familie, nach Deutschland auszuwandern. Nach einem Kurzaufenthalt in Saarbrücken und Saarlouis kamen sie am 1. Juni 1960 in Hamburg an und ließen sich dort nieder. Nach einigen Jahren, in denen sich die Familie beruflich finden musste und in denen sie unter anderem eine Wäscherei und eine Diskothek leiteten, eröffnete Esther Bejarano eine Boutique in Hamburg und ihr Mann arbeitete als Feinmechaniker.

In den Jahren in der Boutique erwachte auch ihr politisches Bewusstsein wieder. Sie begann ihre eigene Geschichte zu erforschen und ihr Leben zu dokumentieren. Außerdem schloss sie sich der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) an. Zahlreiche Auftritte als Musikerin und Einspielungen auf LP folgten.

1986 gründete Esther Bejarano das Auschwitz-Komitee für die Bundesrepublik Deutschland, das Bildungsreisen in Konzentrationslager, Zeitzeugengespräche in Schulen und Veranstaltungen gegen das Vergessen organisiert. 1988 gründete sie gemeinsam mit Tochter Edna und Sohn Joram die Gruppe Coincidence mit Liedern aus dem Ghetto und jüdischen sowie antifaschistischen Liedern.

Esther Bejarano erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. 2004 erschien ihre Autobiographie „Wir leben trotzdem: Esther Bejarano. Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden“.

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Bernard Leander