Oppenheimer, Leo
Leopold Oppenheimer, der 1872 in Höchst/Odenwald geboren wurde und sich später immer nur mit Vornamen Leo nannte, entstammte einer orthodox praktizierenden Familie. Sein Vater, Anselm Oppenheimer (Mutter Karoline, geb. Frohmann), war jüdischer Schullehrer und Kantor in Lengfeld im Odenwald. Leo war eines von 12 Kindern. Als 14-jähriger Schüler soll er einmal mitbekommen haben, wie sich die Eltern über Geldprobleme unterhielten. Fortan verließ er freiwillig Schule und Elternhaus, um Geld zu verdienen und mitzuhelfen, den elterlichen Haushalt zu finanzieren. Er begann eine kaufmännische Lehre in Westfalen.
Zunächst war er als einfacher Schneider in Worms tätig. Als außerordentlich zielstrebiger und tüchtiger junger Textilkaufmann hatte er am 5. Juni 1901 die Tochter seines Chefs, des Wormser Firmeninhabers von Bamberger & Hertz, geheiratet, Helene Bamberger (geb. am 3. Januar 1879 in Worms), und war mit ihr nach St. Johann gezogen.
Das junge Paar Leo und Helene Oppenheimer ließ sich 1901 in der Sulzbachstraße 12 nieder, wo der später berühmte Sohn Max am 6. Mai 1902 das Licht der Welt erblickte. Leo Oppenheimer führte das Saarbrücker Geschäft seines Schwiegervaters in der Bahnhofstraße. Er erwies sich als tüchtiger und erfolgreicher Kaufmann, so dass er bereits 1903 zum Mitinhaber der Saarbrücker Filiale aufstieg, die in „Welthaus für Herren- und Knabenbekleidung“ umbenannt wurde. 1912 eröffnete er eine zweite Firma „Bamberger & Hertz“, deren alleiniger Gesellschafter er selbst war. Dieses Geschäft verfügte über eine eigene Schneiderei, bot neben gehobener Konfektionskleidung Maßanfertigung an und war mit 25 bis 30 Angestellten wesentlich größer als das „Welthaus“.
Im Jahr 1908 zog die Familie Oppenheimer als Mieter in die Försterstraße 15 um (eine Plakette am Haus erinnert heute daran, dass Max Ophüls hier seine Kindheit verbrachte).
1917 erwarb der Vater das Haus Försterstraße 43, weiter oben am Müggelsberg, wohin die Familie nun umzog. In den 1920er Jahren, vermutlich 1922, als Max schon nicht mehr bei seinen Eltern lebte, zogen diese in ein Landhaus in Scheidt „Am Schmittenberg 9“ und vermieteten das Haus in der Försterstraße 43. Der Vater wollte nicht am Staden bauen, wo die meisten wohlhabenden Juden ihre Villen hatten. Er suchte sich ein 7.000 qm großes Grundstück an einem Hang mit Obstbäumen am Scheidter Waldrand aus und setzte ein schönes Haus im Schweizer Stil mit 14 Zimmern dorthin. Einen Swimmingpool gab es ebenfalls.
Leo Oppenheimer war ein weltoffener, temperamentvoller Mann, sozial und demokratisch eingestellt, der als Freund Frankreichs 1914 ein entschiedener Kriegsgegner war und gerne politische Diskussionen führte.
Er tat alles, um seinen Kindern Bildung zu ermöglichen und ihnen sein offenes Bild von der Welt zu vermitteln. Obwohl er als sparsam galt, ging er mit ihnen ins Konzert und Theater und richtete bei seinem Buchhändler ein Konto für sie ein, damit sie sich jederzeit ein Buch aussuchen konnten.
Zum 13. Januar 1935 fuhr auch Max, der zu diesem Zeitpunkt schon mit Frau und Sohn Marcel in Frankreich lebte, nach Saarbrücken, um an der Abstimmung teilzunehmen.
Der Vater, Leo Oppenheimer, der als glühender Bewunderer und Anhänger des Sozialdemokraten Max Braun bekannt war, hatte seit dem Hitler-Putsch in München keinen Fuß mehr ins Deutsche Reich gesetzt. In Saarbrücken hatte er sich im Wahlkampf vehement für den Status quo und eine unabhängige Saar engagiert.
Unmittelbar nach der Abstimmung brachten Max und seine Schwester Friedel deshalb die gefährdeten Eltern mit nur einem Handköfferchen nach Metz in Sicherheit. Sie sollten nicht mehr nach Saarbrücken zurückkehren. Nach einem etwa 14-tägigen Aufenthalt in Metz sind Leo und Helene nach Straßburg weitergefahren und haben dort ein Häuschen gemietet, wo sie ein Jahr gelebt haben. Später sind sie in ein Häuschen in Vaucresson in der Nähe von Paris gezogen.
Bei Kriegsbeginn hatte die Tochter Friedel für ihre ganze Familie und die Eltern in La Bourboule, einem kleinen Thermal- und Luftkurort ca. 50 Kilometer südwestlich von Clermont-Ferrand, ein Haus gemietet. Später fand Friedel durch Vermittlung von Freunden, auch emigrierte ehemalige saarländische Juden, in Aix-en-Provence eine Unterkunft, ein kleines Hotel, wohin sie auch die Eltern aus La Bourboule geholt hat. Die hilfreiche befreundete Familie war Josef Rotenberg und seine Frau, ehemaliger Besitzer eines Kaufhauses in Neunkirchen, dessen Bruder Richard Rotenberg Lotte Weil, die Tochter von Paul Weil, einem der Söhne vom Saarbrücker Kaufhaus E. Weil & Söhne, geheiratet hatte. Josef Rotenberg hatte sich sehr früh einen schönen Besitz in der Nähe von Aix-en-Provence und eine Wohnung in Paris besorgt.
1941 versuchte Friedel mit ihrem Mann Otto Haymann und den beiden Töchtern nach Übersee auszuwandern, was im Juni 1941 nach vielen Hindernissen endlich glückte.
Die alten Eltern Oppenheimer mochten 1941 nicht mehr weiter wandern. Der Vater war Diabetiker geworden. Sie lebten versteckt im Keller einer kleinen von einem Schweizer geführten Pension. Der Vater hatte seinen Namen nicht geändert und er besaß noch seinen Saarländerpass.
Helene Oppenheimer ist während des Krieges 1943 an einem Nierenleiden in Marseille gestorben. Sie wollte nicht mehr weiterleben, als sie erfuhr, dass ihre Brüder (die Kaufhausbesitzer Bamberger in Frankfurt und Leipzig) umgekommen waren. Ihre Kinder waren weit weg, Friedel in Argentinien, Max in den USA. Sie hat ihre Medikamente nicht mehr genommen und sich nicht mehr gepflegt.
Der verwitwete Leo Oppenheimer wurde am 6. Oktober 1943 während einer Razzia der Gestapo im Keller der kleinen Marseiller Pension, wo er versteckt lebte, entdeckt (vermutlich war er verraten worden, das ganze Haus wurde durchsucht). Die Gestapo-Leute fragten ihn als erstes, wovon er denn lebe und dann musste er seine Taschen ausleeren. Er sagte, dass er noch Reste seines Vermögens, das er mit seinem Konfektionsgeschäft in Saarbrücken verdient hatte, besitze. Sofort wurde einer der Männer hellhörig, der aus St. Arnual stammte, und dieser fragte ihn nach dem Firmennamen. „Bamberger & Hertz“, „Das sind Sie?“, „Ja“.
Der Gestapo-Mann zog aus seiner Tasche einen kleinen Reklamespiegel, ein Werbegeschenk der Fa. Bamberger & Hertz. Seine Eltern hatten dort stets alle Kleidung für ihn eingekauft. Der Schwarzuniformierte leistete sich einen Anflug von Menschlichkeit, nahm Oppenheimer zwar das ganze Bargeld in Höhe von 3.100 $ in Banknoten ab und sagte zum Vater: „Hau ab!“ Er wurde nicht abgeführt.
Der Besitzer der Pension, in der sich der Vater aufhielt, protestierte gegen das Vorgehen der Gestapo-Leute und forderte eine Quittung für das beschlagnahmte Geld. Als Repressalie für dieses Verhalten wurde dieser abgeführt, jedoch am zweiten Tag auf Intervention des Schweizer Konsuls wieder freigelassen (der Pensionsbesitzer war Schweizer Staatsbürger). Seitdem lebte der Vater mittellos in einem Kellerraum des Hauses ohne Lebensmittelkarten und ausschließlich auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen.
Als seine Tochter Friedel ihn 1946 das erste Mal wiedersah, lebte er immer noch in dem Keller und war völlig verwahrlost. Friedel konnte ihn glücklicherweise in der Folge von ihrer Arbeit in Argentinien ernähren und er hat sich etwas erholt. Er ist dann wieder nach Aix-en-Provence gezogen und lebte mit einer Jugendfreundin seiner verstorbenen Frau zusammen, deren Mann inzwischen auch gestorben war. Dann haben die beiden dort zusammen in einer kleinen Wohnung gelebt. Friedel ist aus Argentinien jedes Jahr zu ihm gefahren. Sie hat in Scheidt noch ein paar Grundstücke verkauft und davon haben sie zusammen in Vichy Ferien machen können. Leo hat immer noch davon geträumt, dass Friedel nach Saarbrücken zurückkehrt und die Geschäfte wieder aufbaut. Leopold Oppenheimer verstarb dann am 3. April 1950 in einer Klinik in Aix-en-Provence („L’Espérance“), wo er wegen Brandes im linken Bein behandelt wurde.