Kahn Lise-Lotte

Autor: Marcel Wainstock

Lise-Lotte Lyon wurde am 30. August 1916 in Saarbrücken geboren. Ihre Eltern waren der Großkaufmann Max Lyon (1880-1941) und Lilly Lyon, geb. Wronker (1893 - 1978), die Inhaber des Saarbrücker Kaufhauses Lyon. Lise-Lotte hatte eine ältere Schwester Edith (*15.6.1913) und einen jüngeren Bruder Henri (*18.01.1921). Die Familie wohnte in der Rückertstr. 14, Am Staden.

Von ihrem 6. bis 9. Lebensjahr besuchte sie die Privatschule von Frl. Maret, dann ein Jahr die Volksschule, um danach in die Höhere-Töchter-Schule Auguste-Viktoria-Lyzeum zu wechseln. Sie hatte vor, Apothekerin zu werden und hatte sich nach der Obersekundareife 1933 auf der Studienanstalt angemeldet. Leider konnte sie ihr Vorhaben nicht verwirklichen, weil ein Studium für Juden zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich war. Sie besuchte stattdessen ein halbes Jahr die Frauenschule und ging auf die kaufmännische Privatschule von Otto Fisch. Nach Absolvierung dieser Privatschule verbrachte sie 1934 drei Monate als Volontärin in der Fa. E. Weil Söhne, wo sie Stenographie und Maschinenschreiben erlernte. Anschließend arbeitete sie ein halbes Jahr als Kontoristin bei der Fa. Harf in Saarbrücken. Hier verlor sie ihre Stelle, weil die Firma nach der Rückgliederung des Saargebietes an das Deutsche Reich ins Ausland auswanderte. Sie selbst verließ 1935 mit ihren Eltern Saarbrücken und emigrierte nach Luxemburg.

Da ihre Französischkenntnisse nicht ausreichten, konnte sie dort nicht im Büro arbeiten und machte eine zweijährige Umschulung auf dem Kindergärtnerinnen-Seminar in Luxemburg, die privat bezahlt werden musste. Als Ausländerin war es ihr jedoch nach beendeter Ausbildung nicht erlaubt, als Kindergärtnerin zu arbeiten. Ende 1937 ging sie dann nach Paris zu einer Familie, um die französische Sprache zu erlernen. Als 1939 der Krieg ausbrach, wechselte sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder Henri nach Vichy und 1940 nach La Bourboule, wo sie ein bescheidenes Leben führten. Als die Razzien der Deutschen in Frankreich begannen, besorgten sie sich mit ihren Ersparnissen falsche Papiere. Der Vater war am 21. Januar 1941 in La Bourboule gestorben. Lise-Lotte lebte ca. einen Monat in Lyon unter dem falschen Namen Charlotte Laforge. Dort wurden Tag und Nacht große Razzien durchgeführt und sie lebte in der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Nachdem sie sich erneut andere Personalausweise und Lebensmittelkarten auf den Namen Lafarge (Lise-Lotte/Charlotte hieß jetzt Liliane) besorgt hatten, verließ die Familie Lyon, weil die Gestapo sie suchte. Zuvor hatten sie versucht, in die Schweiz zu flüchten, was jedoch misslang und trotzdem viel Geld gekostet hatte. Von Lyon aus gingen sie nach Marseille in ein kleines Hotel, von wo sie nach acht Tagen wieder flüchten mussten, weil sie erneut gesucht wurden. Da sie keinen anderen Ausweg sahen, kehrten sie zurück nach La Bourboule und lebten unter ihren richtigen Namen in einer kleinen Pension. Die Verfolgungen wurden fortgesetzt, die Häuser wurden durchsucht, Juden wurden verhaftet und in Lastwagen abtransportiert, sodass sie sich nochmals verstecken mussten. Der Inhaber des „Grand Hôtel des Ambassadeurs“ versteckte sie zu dritt in einem kleinen Zimmer, das sie nicht verlassen durften. Das Essen wurde ihnen heimlich gebracht. Dieses Versteck war sehr gefährlich, denn die Häuser und Hotels wurden täglich von der Gestapo nach Juden durchsucht und diese dann deportiert. Dieses zermürbende Leben konnten sie nicht länger ertragen und sie suchten sich ein weiteres Versteck hoch in den Bergen des Zentralmassivs. Dort lebte Lise-Lotte mit Mutter und Bruder unter menschenunwürdigen Verhältnissen auf einem Bauernhof. Eine Toilette befand sich außen, Wasser musste an der Tränke geholt werden, wo auch die Wäsche gewaschen wurde.

Die Möblierung war auf das Nötigste reduziert, die einzige Wärmequelle war der Küchenherd. Lebensmittel mussten von 10 Kilometern bei hohem Schnee herbeigeholt werden. Dabei blieb die Angst, von der Gestapo entdeckt zu werden, bestehen, die die Dörfer durchsuchten und beim geringsten Verdacht die Bauernhöfe in Brand steckten und deren Bewohner verschleppten. 1944 zog sich Lise-Lotte durch dieses Leben und die ungenügende Kleidung eine schwere Bronchitis zu, die ein chronisches Asthmaleiden zur Folge hatte, wodurch sie nach der Befreiung durch die Alliierten noch lange arbeitsunfähig blieb.

Nach Kriegsende gingen sie nach Paris und kehrten im Mai 1947 nach Saarbrücken zurück. Hier eröffnete Lise-Lotte zusammen mit ihrem ledigen Bruder das Textilgeschäft „Wettermantelkönig“ Lyon-Wronker & Co GmbH in der Rathausstr. 8. 

Am 28. November 1950 heiratete sie im Französischen Konsulat Saarbrücken Emil Kahn (*15.10.1896 in München), der während der Emigration ebenfalls die französische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und sich in der Résistance betätigt hatte. Lise-Lotte und ihr Mann nahmen beide aktiv am Leben der 1946 wieder gegründeten Synagogengemeinde Saar teil. Sie war zeitweise Mitglied der Repräsentanz, später in den 90er Jahren Mitglied des Vorstands; Ihr Mann Emil Kahn war von 1968 bis 1969 Vorstandsvorsitzender der Gemeinde. Er verstarb in Saarbrücken am 11. September 1969,  Lise-Lotte im Juni 2000 in Saarbrücken.

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