Dreyfus, Paul
Der Journalist und Sachbuchautor Paul Dreyfus wurde am 16. Juli 1880 in Sulzbach/Saar geboren als Sohn von Leser Dreyfus (1837, Unna – 1895, Sulzbach) und dessen Frau Emma, geb. Levy (1854, Illingen – 1939, Bochum). Er hatte zwei Brüder. Der ältere, Walter, geboren 1866 in Aachen, starb im Alter von 13 Jahren in Sulzbach. Emil, der jüngere, wurde 1883 in Sulzbach geboren, er starb am 30. April 1940 im Konzentrationslager Zamość.
Dreyfus veröffentlichte 1920 anonym die Broschüre „Der Feldherr Ludendorff – Militärpolitisch betrachtet von einem Soldaten“ (Verlag Gesellschaft und Erziehung GmbH, Berlin-Fichtenau). In der erweiterten zweiten Auflage von 1925 ist der Name des Autors genannt, sie enthält auch ein neues Nachwort des Verfassers.
Von 1920 bis 1924 arbeitete Dreyfus mit Morgan Philips Price (1885-1973) zusammen, dem Berliner Korrespondenten der sozialistischen Londoner Zeitung „Daily Herald“ und späteren Labour-Abgeordneten des englischen Unterhauses.
Das zweite Buch von Dreyfus ist die 1925 im Ernst Rowohlt Verlag in Berlin erschienene Untersuchung über die sogenannte Fechenbach-Affäre. Der am 7. August 1933 von den Nazis ermordete Pazifist und Sozialdemokrat Felix Fechenbach war 1924 vom Münchner Volksgericht nach einer antisemitischen Kampagne in zwei Gerichtsverfahren verurteilt worden: im sogenannten Schuldlügenprozess im April/Mai 1922 sowie ein halbes Jahr später, im Oktober, wegen angeblichen Landesverrats. Er wurde zu elf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust verurteilt. Durch öffentlichen Druck wurde das Urteil aufgehoben und Fechenbach am 20. Dezember 1924 freigelassen, 1926 verwarf das Reichsgericht einen Teil des Münchner Urteils. Ein bedeutendes Dokument zur Verteidigung Fechenbachs war das 1925 von Dreyfus zusammen mit dem Rowohlt-Lektor Paul Mayer veröffentlichte Buch „Recht und Politik im Fall Fechenbach“.
In ihrem Vorwort heißt es: „Den Verfassern erscheinen die beiden Prozesse als Glieder einer einheitlichen politischen Zweckhandlung. Infolgedessen glaubten sie, auf die Darstellung der Vorgeschichte und des Schuldlügenprozesses nicht verzichten zu dürfen.“ Große öffentliche Aufmerksamkeit erhielt das Buch durch eine Rezension von Carl von Ossietzky. Mit „mustergültiger Akribie“, so Ossietzky, und „gestützt durch überreiches, von zwei konstruktiven Köpfen glänzend gegliedertes politisches und juristisches Material“, erfahre man, „was damals, im Oktober 1922, in München im Namen der Justiz angerichtet wurde. [...] Deshalb wirkt das Buch auch nicht überholt, es bringt, von einer überquellenden sachlichen Fülle abgesehen, eine unerhört vollkommene Porträtgalerie aller Beteiligten, es ist so etwas wie ein Baedecker durch die Dschungeln der neubayrischen Physiognomie, die uns ja so fremd geworden ist.“ (Das Tage-Buch, Berlin, 2.1.1926)
Im August 1926 gründeten Berthold Jacob, Paul Dreyfus und Martin Christian Sander in Berlin die pazifistische Pressekorrespondenz „Zeit-Notizen“. Die Journalisten veröffentlichten Dokumente und Materialien über die heimliche militärische Aufrüstung in der Weimarer Republik. Wegen des zunehmenden politischen Drucks emigrierte Jacob 1932 mit einem Teil des Redaktionsarchivs nach Straßburg, seine beiden Kollegen konnten den Nachrichtendienst noch bis Januar 1933 herausgeben.
Nachdem seine beiden Veröffentlichungen sowie Ausgaben der „Zeit-Notizen“ am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz öffentlich verbrannt worden waren, emigrierte Dreyfus am 27. August 1933 nach Frankreich. In einem Fragebogen der Unterstützungsorganisation „American Guild“ notierte er 1937: „Paul Dreyfus, 44 rue Jacob, Paris VIe, 57 Jahre, ledig. Reichsdeutscher. Schutzhaft nach Reichstagsbrand. Veröffentlichung meines Namens durch die erste alphabetische Liste von 40 Personen vom 10. März 1933, die von der Amtspresse unter dem Titel ‚Die Blüte des Marxismus und Pazifismus in Schutzhaft‘ gebracht wurde. Habe trotz schriftlicher Verpflichtung und Paßentzug nach Haftentlassung August 33 Deutschland illegal verlassen.“ Und weiter:
„Einzige Papiere: Haftbefehl nach dem Reichstagsbrand; Verfügung des Paßentzugs durch Gestapo […]. Nach Recogniszierung durch andere Emigranten, besonders H.[ellmut] v. Gerlach, sofortige Ausstellung des Récépissé. […] Expulsion 29. April ohne Angabe von Gründen. Als réfugié politique anerkannt vom Ministère de l’Intérieure […]. Niemals geringste Beanstandung durch Polizei oder Gerichte; während der ganzen Zeit des Aufenthalts in Paris, seit 29. August 33, ein einziger Domizilwechsel am 1. Juni 34.“ (Deutsche Bibliothek – Deutsches Exilarchiv 1933-1934 – Archivalien)
Am 7. August 1939 wurde Dreyfus wie zahlreiche andere deutsche Emigranten in Frankreich interniert, zunächst in dem Lager Rieucros, am 6. Oktober verlegte man ihn in das berüchtigte Pyrenäen-Lager Le Vernet. Von dort bat er in einem Brief von Ende Oktober 1939 Rudolf Olden, den Sekretär des deutschen PEN-Clubs im Exil in London, er möge seinen früheren Kollegen Price, mit dem er Anfang der 20er Jahre in Berlin zusammengearbeitet hatte und der inzwischen Abgeordneter der Labour-Party im englischen Unterhausabgeordneten geworden war, über seine Internierung informieren. Durch die Intervention von Price erhoffte sich Dreyfus eine Verbesserung seiner Situation. Die Bedingungen im Lager, hatte Dreyfus geschrieben, seien zwar human, doch wie die übrigen Internierten schlafe er auf Stroh ohne Decken und jeden anderen Komfort, die Nächte seien kalt und seine Gesundheit angeschlagen.
Ob Price, der den französischen Botschafter in London umgehend über die Situation von Dreyfus informierte, dessen Lage noch erleichtern konnte, ist ungewiss. Am 27. Februar 1940 starb im Alter von nur 59 Jahren Paul Dreyfus im Lager Le Vernet.