Perc-Peretz, Marc
Marc Perc-Peretz wurde am 23. September 1917 in Warschau geboren. Seine Mutter Cipa bzw. Zipporah (hebr. „Vogel“) geb. Rappaport verließ Warschau um 1918 mit zwei ledigen Brüdern, Simon und Naftali, ihrem Mann Adolf sowie ihren zwei kleinen Kindern Marc und Perla zunächst in Richtung Berlin. Später hat sich der Familienklan in Wiesbaden niedergelassen. Anfang der 30er Jahre schickte der Vater seinen Sohn für einige Zeit nach Holland, wo sich seine zwei Onkel zeitweilig aufhielten. Hier lernte Marc unter anderem Niederländisch.
Cipas Mann Adolf, der Vater von Marc Peretz, wurde etwas später während der NS-Zeit als Jude denunziert und daraufhin deportiert und umgebracht.
Wie für viele, die damals vor den antisemitischen Diskriminierungen und Verfolgungen aus Polen geflohen und in den Westen ausgewandert waren, stellte Frankreich, das Land der Menschenrechte, ein verlockendes Ziel dar, erst recht jetzt, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich. So floh auch diese Familie weiter nach Frankreich.
Als im Zuge des Zweiten Weltkriegs 1940 Deutschland auch einen Teil Frankreichs besetzte und die französische Regierung sowie große Teile der Bevölkerung bezüglich der Verfolgung von Juden und Regimefeinden mit den Besatzern kooperierten, wurde der noch freie Teil des Landes für viele Flüchtlinge das letzte Refugium. Die Mutter Cipa, ihre beiden Brüder und die zwei Kinder bildeten über die gesamte Kriegszeit einen Familienverbund, deren Mitglieder sich im täglichen Überlebenskampf gegenseitig beistanden. Einer der Brüder von Marcs Mutter hatte etwas Geld im Futter seines Mantels eingenäht und brachte damit seine Schwester und ihre Tochter in der Gegend von Lyon auf einem Bauernhof in Sicherheit. Die Männer konnten dort aber nicht bleiben, denn die Deutschen tauchten häufig zu Kontrollen auf. Insbesondere nachts kamen sie mit ihren Spürhunden. Die drei Männer lebten deswegen die meiste Zeit versteckt im Wald. Die Bäuerin brachte ihnen – gegen Vorauszahlung – etwas Brot und Käse zum Waldrand. Um vor den Deutschen und ihren Hunden in Sicherheit zu sein, versteckten sie sich einmal in einem ausgehölten Baumstamm und verbrachten die ganze Nacht darin aufrecht stehend. Dieses Erlebnis war ausschlaggebend für Marc Peretz’ Entschluss, sich der Résistance, dem im Untergrund arbeitenden französischen Widerstand, anzuschließen. Er war damals 23 Jahre alt. Er kam zu den Maquisards et Pionniers du Vercors im Département Drôme, wo er der „Compagnie Daniel“ zugeteilt wurde. Marc Peretz wurde nach Kriegsende für seinen Einsatz mit der „médaille de la résistance“ ausgezeichnet. 1945 wurde ihm auf Antrag die französische Staatsbürgerschaft verliehen. Bei dieser Gelegenheit entstand auch sein Doppelname „Perc-Peretz“, um eine frühere Schreibweise des Familiennamens zu dokumentieren.
Kurz nach Kriegsende heiratete Marc Peretz die Tochter eines berühmten jüdischen Pariser Chirurgen. Aus dieser Ehe, die aber schon früh geschieden wurde, ging ein Sohn, Eric Peretz, hervor, geboren am 4. Januar 1947 in Lyon.
Der Sohn, der zeitlebens ein gespanntes Verhältnis zu seinen beiden Elternteilen behielt, die sich scheiden ließen, als er noch ein Kind war und ihn sozusagen im Stich ließen, worunter er stark litt, trat später, zum Leidwesen seines Vaters beruflich nicht in seine Fußstapfen und wurde nach seinem Jurastudium Notar in Besançon.
In den 50er Jahren erschien das Saarland mit seinem Sonderstatus vielen Menschen, die sich eine neue Existenz aufbauen wollten, als sehr interessant. Da seit einiger Zeit schon die beiden Onkel, mit denen er die Kriegszeit verbracht hatte, in Saarbrücken lebten, kam auch er 1949 wie einige andere jüdische Menschen, die in Frankreich den Krieg und die Naziverfolgungen überlebt hatten, hierher ins Saarland.
Nachdem er sich eine Weile als Vertreter für Textilien in Saarbrücken durchgeschlagen hatte, arbeitete er im Möbelhaus „Europa Möbel“ in Saarlouis bei einem Herrn Blume. Es folgte ein eigenes Möbelgeschäft in der Saarbrücker Eisenbahnstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft der Metzgerei Konrad und der Saarbrücker Zeitung. Hier begann Frl. Rita Weiler, eine seiner späteren Lebensgefährtinnen, als Lehrmädchen zu arbeiten.
Im Frühjahr 1963 eröffnete Marc Peretz in der Dudweilerstraße 7 zusammen mit dem o. g. Herrn Blume die „Antiquitäten und Dekorationshaus GmbH“, die einige Zeit später im Jahre 1968 in das Nachbarhaus Nr. 9 umzog. Herr Blume machte sich bald selbständig und eröffnete in der Kaiserstraße 25 ein eigenes Antiquitätengeschäft (der Nachfolger war dort etwas später „Antiquitäten Preisegger“).
Frau Rita Weiler, das einstige Lehrmädchen aus dem Möbelgeschäft in der Eisenbahnstraße, hat es Anfang der 70er Jahre wieder zu ihrer ersten großen Liebe gezogen und sie wurde eine vertrauensvolle Mitarbeiterin der Buchhaltung des Auktionshauses.
Der Umzug der Firma ins Nachbarhaus war ein Glücksfall: Dadurch ergab sich mehr Platz im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss des Vorderhauses und vor allem gab es jetzt auch ein einstöckiges Hinterhaus, das als Raum für zukünftige Versteigerungen genutzt werden konnte, denn der Geschäftsmann Peretz hatte große Erweiterungspläne. Aus dem allerersten Antiquitätengeschäft Saarbrückens nach dem Krieg sollte nun das „Saarbrücker Kunst- und Auktionshaus Peretz“ werden.
In der Anfangszeit kam für die Durchführung der Versteigerungen ein Auktionator des Frankfurter Kunsthauses Artus zu Peretz nach Saarbrücken. Etwas später, nachdem Peretz eine entsprechende fachliche Prüfung abgelegt hatte, konnte er die Versteigerungen selbst durchführen. Bei der Prüfung hatte man ihm römische Münzen vorgelegt, die er aber glücklicherweise als Fälschungen identifizierte, und somit war die Prüfung bestanden. Nun durfte er sich „vereidigter und öffentlich bestellter Auktionator“ nennen und der bisherige Firmenname wurde um die Bezeichnung „Kunst- und Auktionshaus“ ergänzt.
Fortan gab es neben dem normalen Ladenverkauf regelmäßig interessante Kunst- und Antiquitäten-Auktionen aus Nachlässen oder Sammlerbesitz in der Saarbrücker Dudweilerstraße 9.
Manches Mal wurden große Auktionen auch außerhalb von Saarbrücken durchgeführt. Einmal in Heidelberg, ein anderes Mal in Köln, im Einrichtungshaus May, auch einmal in Idar-Oberstein (die 40. Auktion am 9. November 1974 in der Diamanten- und Edelsteinbörse). Dort wurde eine Villa im Stadtteil Idar mit dem ganzen Inventar und samt großer Mineralien- und Edelsteinsammlungen versteigert. Das Haus beherbergt heute das Edelsteinmuseum.
Waren die ersten Auktionskataloge noch wenig umfangreich – es waren dreiseitige beidseitig bedruckte Leporellos mit Schwarzweiß-Fotos und nur wenigen Farbabbildungen der wichtigsten Objekte, die sich bescheiden „Hauslisten“ nannten, und die auf Wunsch kostenlos zugesandt wurden, so nahm der Umfang bald die Form einer 10-12-seitigen Broschur an, um später zu Publikationen mit teils in Farbe wiedergegebenen Abbildungen aller angebotenen Objekte zu werden, für die, wie in anderen Häusern, eine Schutzgebühr verlangt wurde.
Ein Glanzpunkt der über 30-jährigen Firmengeschichte unter Marc Peretz’ Geschäftsführung mit rd. 240 Auktionen waren zweifellos die beiden Saarbrücker Versteigerungen von kostbaren Kunstgegenständen aus dem Palast des Maharawal von Dungarpur im Jahre 1973 (am 17.5. und am 18.10.). Unter den angebotenen Schätzen gab es zwei kunstvolle, mit Silber beschlagene Throne aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sowie weitere Gegenstände wie z. B. eine zweiflügelige Silbertür aus der gleichen Epoche. Zu jener Zeit fuhren noch ganz wenige Durchschnittseuropäer nach Indien und Maharadschas kannte man bestenfalls aus Spielfilmen oder Trivialromanen.
Die Besichtigungen der Waren vor den Auktionstagen wurden zu regelrechten Saarbrücker Events: Unabhängig von einer Kaufabsicht gingen viele zu „Peretz“, nur um die Märchenpracht einmal selbst in Augenschein zu nehmen und natürlich posierte man für Erinnerungsfotos vor und auf den ausgestellten Thronen. Der ausgebreitete orientalische Glanz regte die Phantasie der Besucher an und die Saarbrücker Maharadscha-Auktionen wurden große wirtschaftliche Erfolge – darüber hinaus auch sehr werbewirksame Veranstaltungen, die das hiesige Auktionshaus bundesweit in die Schlagzeilen der Fachpresse brachte. Den Hinweis auf die verkaufswillige Familie des Maharadscha - der Maharadscha selbst war schon seit einiger Zeit verstorben - hatte Marc Peretz von Heinz Rox-Schulz, dem saarländischen Weltenbummler, erfahren. Rox-Schulz war Turner und sehr sportlich. Er war eine Zeit lang beim Maharadscha von Laknau tätig, wo er dessen Palastwache trainierte und verfügte über einige Kontakte in indischen Fürstenkreisen. Hinzu kam, so berichten Zeitzeugen, dass die gut aussehende damalige Gattin von Rox-Schulz, Helene Fuest (1925-2013), zuvor einige Zeit mit Marc Peretz verheiratet gewesen war. Sie ehelichte nach ihrer Scheidung von Rox-Schulz den damaligen Chefarzt am Caritas Krankenhaus, Professor Dr. med. Manfred Piroth (1926 - 2013).
Ein Los, eine mit Silber beschlagene Krishna-Kutsche, erwarb bei der Auktion der surrealistische Künstler Salvador Dali über einen Vertrauten für damals 300 000 DM und benutzte sie anschließend für Installationen.
In den Folgejahren kamen immer wieder weitere Einlieferungen aus der gleichen Quelle. Einmal kam die Maharani sogar persönlich nach Saarbrücken in die damalige Peretzsche Wohnung in der Winterbergstraße und brachte Schmuck. Sie sah in Marc Peretz eine Reinkarnation ihres verstorbenen Mannes und vertraute ihm daher.
Einige Zeit später, aber immer noch in den 70er Jahren, gab es eine große Auktion mit russischen und griechischen Ikonen bei Peretz. Ab 1973 war der Mitarbeiterstab des Auktionshauses um den Kunsthistoriker Dr. Günter Scharwath erweitert worden, der bis 1992 hier sein Fachwissen mit einfließen ließ.
Marc Peretz war im wahrsten Sinne des Wortes ein „Bon vivant“; nach den Entbehrungen seiner Jugendzeit genoss er nun das gute Leben, das gute Essen und liebte es über alles, charmant zur Damenwelt zu sein. Außerdem mochte er Titel recht gern. So kam es, dass er 1970 Honorarkonsul von Costa Rica wurde. Er nutzte sogleich seine neuen Beziehungen, um sich eine kleine Privatsammlung präkolumbianischer Kunst zuzulegen. Ansonsten hat ihm dieses Ehrenamt für sein Antiquitätengeschäft nichts gebracht, aber der Titel schmeichelte dem „Kunstauktionator“ und gab ihm eine gewisse Genugtuung. Denn, wie so viele Menschen, die wegen Krieg, Flucht und verstecktem Leben oder auch nur, weil dem Elternhaus die Mittel fehlten, auf eine ersehnte Hochschulausbildung verzichten mussten, war Marc Peretz erfolgreicher Autodidakt. In seiner Freizeit verschlang er so viel Fachliteratur aus seinen Interessensgebieten, dass er sich allmählich eine recht ansehnliche Bibliothek aufgebaut hatte.
Bei den Damen, insbesondere anlässlich der von ihm geleiteten Versteigerungen, wo das Publikum oft mehrheitlich aus Damen bestand, ließ er ungehemmt seinem französisch geschulten Charme, seinem angeborenen jüdischen Sinn für Humor und seiner kaufmännischen Intelligenz freien Lauf. Dank seiner immer sehr distinguiert vorgetragenen humorvollen Bonmots hatten die Versteigerungen unter Peretz einen echten Unterhaltungswert und galten in jener Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, als man sich von den „alten Zöpfen“ befreite und von der Nachkriegsnot erholte, als willkommene Saarbrücker Gesellschafts-Ereignisse.
Nach diesen recht erfolgreichen 70er Jahren wurde es, geschäftlich gesehen, später etwas ruhiger. Eine geplante zweite Einkaufsfahrt nach Indien verhinderten gesundheitliche Probleme: Peretz erlitt um 1996/97 zwei Schlaganfälle. Den entscheidenden letzten Schlag gab eine zunächst vielversprechende Auktion mit angeblich sehr wertvollen Gemälden u. a. von Miro. Es stellte sich jedoch im Nachhinein heraus, dass die Bilder allesamt gute Fälschungen waren. So kam es zu einem Prozess, der die Firma viel Geld gekostet und sie zu hoher Verschuldung geführt hat, von der sie sich nicht mehr erholte. Ab 1997 und über den Tod von Marc Peretz hinaus bis 2012 hieß die Firma dann „Peretz und Ball GmbH. Kunst und Auktionshaus“.
Marc Peretz verstarb am 25. September 1999 im Alter von 82 Jahren.
Seine langjährige Lebensgefährtin und Mitarbeiterin, Rita Weiler, die Peretz noch drei Jahre vor seinem Tod geehelicht hatte, verstarb ca. ein halbes Jahr nach ihm, im Frühjahr 2000 an den Folgen eines Krebsleidens.
Auch wenn das Saarbrücker Auktionshaus Peretz sich bei weitem nicht mit alteingesessenen Häusern in Berlin, München oder Frankfurt vergleichen lässt, so brachte „Papa Peretz“, wie er liebevoll von manchen genannt wurde, dennoch einen Hauch von Großstadtflair in die gerade erwachende saarländische Nachkriegsmetropole der 70er Jahre.