Mantel, Arnold

Autor: Ralph Schock

„ICH HABE VERGESSEN, ABER VERZEIHEN WERDE ICH NIE“ - Die Überlebensgeschichte des saarländischen „Halbjuden“ Arnold Mantel

Wegen eines geplanten „literarischen Geburtstagsbreviers“ des Saarländischen Rundfunks für die Stadt Saarbrücken erbat ich im Herbst 1998 Beiträge von Autoren. Alle Textsorten seien willkommen, hatte ich geschrieben: „Gedicht und Erzählung, Tagebuch und Brief, freundliches Feuilleton und heftige Polemik. Ob gedruckt oder noch unveröffentlicht. Ab sofort und noch bis Ende 1999.“

Einige Dutzend Manuskripte gingen daraufhin in der Redaktion ein, darunter, wie zu erwarten, manches Unsendbare, aber auch mehrere spannende Texte, die in den folgenden Wochen und Monaten im Literaturprogramm des SR zu hören waren.

Unter den Einsendungen auch ein komplettes Buch, ein autobiographischer Roman, der 1993 im Offenburger Jasmin-Eichner-Verlag erschienen war. Beigelegt ein vom 19. Oktober 1998 datierter Brief, in dem ein mir unbekannter Autor namens Arnold Mantel aus Wien, Berzeliusgasse 14/44/10 im Gemeindebezirk Floridsdorf, versicherte, sein Buch „Der Verfolgte“ beinhalte einen „großen Teil aus meiner Saarbrücker Zeit“. In seinem Brief heißt es:

„Ich, der sich noch immer als Altsaarländer bezeichnet, trotz einer über 50jährigen Abwesenheit, wurde 1923 in Merzig geboren. Mit drei Jahren übersiedelte ich mit meinen Eltern in die Haldystraße am Rotenbühl in Saarbrücken. Das war die schönste Zeit meiner Jugend. Nach dem Besuch meiner Volksschule, ich glaube, sie hieß ‚Rotenbergschule‘, besuchte ich die ‚Obri‘, so nannten wir die Oberrealschule am Landwehrplatz. Als das Saargebiet deutsch wurde, steckten mich meine Eltern in ein Internat im Schwarzwald. Nach Jahren kam ich dann wieder in meine Heimatstadt Saarbrücken. Es war eine grausame Zeit. Die Neue Bremm und das Saarbrücker Gefängnis waren damals Aufenthaltsorte für den Halbjuden Arnold Mantel. Soviel über meine Jugend und meine Saarbrücker Zeit. Alles ausführlicher lesen Sie in meinem Buch. Es ist kein literarisches Kunstwerk, aber es hat etwas an sich, was man in derart geschriebenen Büchern vermißt: Die Wahrheit.“

Leider begann ich erst viele Jahre später über den Autor zu recherchieren. Die Ausbeute war gering. Aus Merzig kam die Kopie seiner Geburtsurkunde, aus der hervorgeht, dass Arnold Mantel als Sohn des Merziger Kaufmanns Jakob Mantel und seiner Ehefrau Irma, geborene Machné, beide wohnhaft in der Triererstraße 17, am 21. Januar 1923 geboren wurde. Auf der Urkunde ist am unteren Rand handschriftlich vermerkt, dass Mantel am 17. Oktober 1962 heiratete, zum zweiten Mal am 19. Juni 1972, ein Jahr später, am 16. August 1973, zum dritten Mal. Alle drei Ehen wurden in Wien geschlossen. Die Konsularabteilung der Österreichischen Botschaft in Berlin teilte mir schließlich Mantels Todesdatum mit: er sei am 16. August 2002 um 18:50 Uhr in Wien verstorben.

In seinem (einzigen) Buch beschreibt Mantel, der sich darin Max Heine nennt, seine Biographie von Kindheit und Jugend bis zur Befreiung 1945 aus einer Todeszelle im elsässischen KZ Schirmeck. Es endet mit den Worten: „Max lebt heute in Wien. Er hat längst verziehen – aber vergessen wird er niemals.“

Wie in seinem Brief angekündigt, schildert der Autor ausführlich die Erinnerungen an Saarbrücken. Er erwähnt darin, mit ihrem richtigen Namen, auch seine drei Jahre ältere und am 11. März 1999 in Saarbrücken gestorbene Schwester Edith.

Mantel schildert zunächst die vermutlich üblichen Erlebnisse eines Jungen bzw. Heranwachsenden, der sich vor allem in der Bahnhofstraße herumtrieb, der „Rue“, damals Adolf-Hitler-Straße. Bekannte Lokalitäten werden erwähnt: der UFA-Palast, die Cafés Astoria, Kiefer und Frasquita, die Tanzschule Euschen, das Fotogeschäft Gressung. Er war ein engagiertes Mitglied in der 1930 von dem saarländischen Lyriker Karl Christian Müller gegründeten Trucht, einer bündischen, völkisch-konservativ orientierten Wandervogelgemeinschaft, die später in der Hitlerjugend aufging.

Mantel war, wie er schreibt, begeistert von allem soldatischen Gedankengut und Militärwesen und wollte unbedingt Mitglied der Hitlerjugend werden, später Offizier in der Wehrmacht. Seine Mutter habe ihn schließlich aufgeklärt, dass er als „Mischling ersten Grades“ – sein aus Österreich stammender, 1937 gestorbenen Vater war Jude – keiner nationalsozialistischen Organisation angehören dürfe: „Für Max brach eine Welt zusammen.“ (S. 27)

 Mantel blieb wegen seiner nicht-arischen Abstammung nicht lange unbehelligt: Der Vorwurf angeblicher „Rassenschande“ brachte ihn in Konflikt mit dem Regime. Inhaftierung und Verhöre im Saarbrücker Schloss, der Zentrale der Gestapo, folgten. Aufgrund einer nostalgischen Anwandlung eines ihn verhörenden Sturmbannführers, der wie seine Mutter aus Kärnten stammte, kam er nach zwei Tagen wieder frei.

Nach dem Einmarsch in Österreich am 11. April 1938 verloren Arnold und seine Schwester die deutsche Staatsangehörigkeit und wurden staatenlos. Die Mutter brachte ihren Sohn in ein Internat in Sasbach in Baden-Württemberg, die sogenannte Lender’sche Lehranstalt, eine katholische Privatschule der Erzdiözese Freiburg. Nur der Direktor war über den Status seines neuen Schülers informiert. Wegen seiner hervorragenden sportlichen Leistungen wurde er als „ausländischer Gast“ in der Hitlerjugend aufgenommen und gewann als „Gausieger“ mehrere Wettkämpfe, bei der Siegerehrung trug er eine HJ-Uniform.

Für die Abiturprüfung vor „staatlichen Professoren“ (S. 43) wurde er allerdings nicht zugelassen, weil er keinen HJ-Ausweis besaß. Nach Saarbrücken zurückgekehrt, bekam er in der Dillinger Hütte eine Volontärsstelle. Erneut wurde er von der Gestapo verfolgt, mit Hilfe eines Freundes gelangte er bei Großrosseln über die lothringische Grenze und versteckte sich in Metz im Haus von Verwandten. Ohne dass nach einem Ausweis gefragt wurde, nahm ihn ein NSKK-Sturmführer in seine Truppe auf, und Mantel wurde Mitglied des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP: „Mit 1,88 Meter war er der rechte Flügelmann der ersten Kompanie“ (S. 77).

Als seine Einheit wenig später nach Brüssel versetzt wurde, ernannte man ihn wegen seines tadellosen Benehmens und seiner ausgezeichneten Französischkenntnisse zum Verbindungsmann des Batallions zu dessen zwei wallonischen Kompanien. Bei einer neuen Einkleidung bekam er eine Offiziersuniform der Luftwaffe mit NSKK-Hoheitszeichen. Nach vier Monaten sollte das Batallion an die Ostfront versetzt werden, Mantel wurde zum Zugführer seiner Kompanie befördert und Stellvertreter des Kompaniechefs. (S. 91)

Eine Saarbrücker Freundin, mit der er in brieflichem Kontakt gestanden hatte, denunzierte ihn kurz vor der Verlegung an die Ostfront bei der Kommandantur als Halbjuden. Wegen Spionageverdachts wurde er verhaftet. Viel später stellte sich heraus, dass ihn seine Freundin vor der Verlegung an die Ostfront hatte schützen wollen.

In Brüssel wurde er im Hauptquartier der Gestapo verhört. Erneut rettete ihn ein Zufall, allerdings nur vorübergehend: der verhörende Obersturmbannführer war ein Freund des deutschen Leichtathletik-Meisters Eberhard aus Darmstadt, gegen den Arnold Mantel die Saarbrücker Waldlauf-Meisterschaften gewonnen hatte. Mantel/Heine wurde nach Frankfurt entlassen und erhielt als Kleidungsstück eine ausrangierte SS-Uniform ohne Rangabzeichen. Spiegel, Schulterstück und Abdruck des Adlers zeichneten sich auf dem Stoff allerdings noch ab. (S. 97) In einem Frankfurter Geschäft fand er eine Stelle in einem Büro. Nach wenigen Tagen wurde er, weil er keinen Ausweis besaß, bei einer Straßenkontrolle verhaftet. Der Vorwurf: unberechtigtes Tragen einer SS-Uniform: „Zwei Monate saß er so in seiner Zelle“ (S. 101), bis er in ein Lager für Ostarbeiter und Juden gebracht wurde, einen Steinbruch, wo er ein Jahr lang Zwangsarbeit leisten musste.

Weil sein Fall verworren war und auch keine ausführliche Akte über ihn aufgetrieben werden konnte, entließ man ihn schließlich. Er fuhr nach Saarbrücken und versteckte sich zunächst im Haus seiner Mutter. Nach zwei Tagen gelang ihm die Flucht nach Metz, wo er sich, wie schon eineinhalb Jahre zuvor, in dem verlassenen Haus seiner Verwandten versteckte. Überraschenderweise fand er dort mehrere Briefe seiner früheren Saarbrücker Geliebten Helga, jener Frau, die ihn einst als Halbjuden denunziert hatte, um ihn vor der Ostfront zu bewahren. Sie arbeitete in Metz als Luftwaffenhelferin im Büro des Kommandanten eines Nachtjagdgeschwaders und hatte Zugang zu allen Stempeln, Ausweisen und Vordrucken bzw. zu Blankoformularen für Marschbefehle und Passierscheine.

Ein Unterscharführer der Waffen-SS sprach ihn in einem Metzer Lokal an und besorgte ihm einen falschen Ausweis für Zivilangestellte im Heeresdienst sowie einen „Marschbefehl zum Höheren SS- und Polizeiführer für Belgien und Nordfrankreich“ in Paris. In einem auf einen falschen Namen ausgestellten Begleitschreiben hieß es, der Ingenieur Albert Murer müsse dringend in Paris vorstellig werden. Helga gelang es, die Dokumente mit den erforderlichen Stempeln zu versehen: „Immer wieder vergaß er das neue Geburtsdatum, nur den Namen konnte er sich merken.“ Mit einigen Goldmünzen, die er in einem Versteck in der Wohnung seiner Verwandten gefunden hatte, fuhr er mit dem Zug nach Paris.

Dort erhielt er von der Ortskommandantur eine Zuweisung in ein Hotel sowie Lebensmittelkarten für zwei Wochen. In einem Juweliergeschäft verkaufte er die Münzen, um Mittel für eine illegale Weiterreise nach Marseille, in den unbesetzten Teil Frankreichs, zu bekommen, und suchte Kontakt zur Résistance. Allerdings wurde er von Kollaborateuren verraten, denn einen Tag später verhaftete ihn die Gestapo in seinem Hotel, erneut wegen angeblicher Spionage. Man brachte ihn in die Rue de la Saussière, ins Hauptquartier der Gestapo in Paris, wo er mehrere Tage brutal misshandelt wurde.

In der Schilderung seiner monatelangen Gefangenschaft in dem Pariser Gefängnis „Cherche Midi“ erwähnt Mantel eines der wenigen exakten Daten in seinem Buch: den 31. Januar 1943, den Tag der Kapitulation von General Paulus in Stalingrad (S. 177). Wenig später transportierte man ihn in einem Zug mit anderen Gefangenen zurück nach Deutschland: „Max fand sich auf einem Abstellgleis des Saarbrücker Bahnhofs wieder. Auf dem Bahngelände war schon eine Kette von SS-Leuten gebildet.“

Man brachte die Männer in das Lager Neue Bremm: „Die Leute wurden ausgeladen und mit Schlägen und Tritten ins Lager getrieben. Hohlwangige Gefangene standen herum. Sie hatten die gestreiften Anzüge der KZ’ler an. […] Bei all seinen Inhaftierungen hatte Max noch nicht so viel Schmutz und Ungeziefer gesehen. […] Die Stockbetten waren mit verlausten, verflohten und verwanzten Strohsäcken gepolstert.“ (S. 181ff)

Die schlimmen, menschenverachtenden Zustände dort schildert er folgendermaßen: „Dazu kam des öfteren Alarm: Jeder Gefangene musste so, wie er gerade war, auf dem Appellplatz antreten. Halbnackte standen im Freien. Ein Mitgefangener, der ‚Kapo‘ des Lagers, hatte das Kommando. […] Er ließ die halbverhungerten, entkräfteten Menschen im Kreis laufen. Einige, die nicht mehr konnten, mussten zur ‚Auffrischung‘ durch den Löschteich waten. Bei null Grad war das glatter Mord. Die SS-Wachtposten, meist jüngere Leute, standen dabei und ergötzten sich an dem grausamen Schauspiel. Nach einer Stunde wurde ‚Wegtreten‘ gerufen. Nun eilten alle in ihre Baracken. Jeder, der nicht durch den Löschteich laufen musste, war froh. Die Durchnässten aber kamen jetzt in ihren nassen Kleidern in die ungeheizte Baracke. Da sie nichts zum Umziehen besaßen, mussten die Kleider am Körper trocknen. Es gab viele Tote. Allein durch Verhungern starben täglich einige. Die Verpflegung bestand aus warmem Wasser mit einigen Blättern darin. Was für Blätter es waren, ließ sich nicht erraten. […] Die Schikanen des Kapo überstiegen jegliche Vorstellungskraft. Was sich dieser perverse Verbrecher einfallen ließ, um die SS-Männer bei Laune zu halten, war reiner Sadismus. Die SS-Männer lachten zu jeder neuen, gelungenen Teufelei, als wären sie im Zirkus.“ (S. 184)

Nach fünf Wochen wurde Mantel/Heine in das Gefängnis auf der Lerchesflur verlegt, dessen Leiter der Vater eines früheren Freundes war. So erhielt er die Erlaubnis, als Korbflechter zu arbeiten, und durfte sogar tagsüber das Gefängnis unbeaufsichtigt verlassen, um Weidenzweige in Tümpeln zu wässern. Bei einem Bombenangriff wurde das Gefängnis getroffen, seine Zellentür sprang auf und er grub einen verschütteten Wachmann aus den Trümmern. Der Gefängnisdirektor setzte ich daraufhin bei den Justizbehörden für ihn ein. Wegen „vorbildlicher Führung“ wurde er zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt und sofort entlassen. Mantel/Heine plante danach, als sogenanntes ‚U-Boot‘ bis zum Kriegsende unterzutauchen.

Die günstigsten Chancen dafür sah er im Schwarzwald, in der Umgebung seiner ehemaligen Schule in Sasbach. In der Gemeinde Appenweier fand er eine Unterkunft, doch bei einem Waldspaziergang wurde er wegen Betretens eines militärischen Sperrgebiets von Feldgendarmen erneut verhaftet. Mantels nächste Stationen waren die Gefängnisse in Bühl und Rastatt, danach das elsässische KZ Schirmeck: „Gefangene wurden zu Tode geprügelt oder verhungerten. Eine Soldateska schlimmster Art hatte hier das Sagen. Es vergingen Monate. Max war zum Skelett abgemagert.“ (S. 195)

Als das Lager wegen der herannahenden alliierten Truppen geräumt wurde, schickte man die Insassen auf einen Todesmarsch Richtung Rastatt: „Wer nicht weiterkonnte, wurde kurzerhand erschossen. Viele blieben aber auch liegen und verendeten wie Tiere im Straßengraben.“ (S. 197)

Zwei Tage später wurde er im Gefängnis von Rastatt von französischen Truppen befreit. Doch hielt man ihn zunächst für einen SS-Mann und internierte ihn zusammen mit hohen Nazi-Funktionären in einer Gemeinschaftszelle des Gefängnisses in Baden-Baden: „Die Franzosen […] prangerten zwar die unmenschlichen Taten des Hitlerregimes zu Recht an, benahmen sich aber ihren Gefangenen gegenüber nicht sehr viel anders: Auch bei ihnen wurde geprügelt, und die Vernehmungen glichen denen der Gestapo. […] Auch wurden deutsche Frauen von den ‚Befreiern‘ vergewaltigt. Max sah einmal, wie ein Senegalese eine alte Frau mitten auf der Straße vergewaltigte. Ein dazukommender französischer Offizier erschoss den Mann an Ort und Stelle. Max […] hatte genug von den Franzosen, von den Deutschen und von Deutschland. […] Er entschloss sich, in das Land seiner Vorfahren, nach Österreich, auszuwandern.“ (S. 202f)

Unterwegs wurde er erneut verhaftet, diesmal von der amerikanischen Spionageabwehr CIC, die ihn verdächtigte, ein Offizier der SS gewesen zu sein, da er sich mit der Organisation von Konzentrationslagern genau auskannte. Erneut wurde er mit hohen SS- und Wehrmachtsoffizieren sowie NSDAP-Größen inhaftiert, allerdings unter sehr luxuriösen Bedingungen. In dem Roman heißt es: „Einige der hier Anwesenden waren doch gemeinste Verbrecher – und wurden behandelt wie Feriengäste. In Max ging eine Wandlung vor sich. Er hatte genug gesehen, von allen Seiten. Er wollte nur mehr seine Ruhe.“ (S. 211)

Einige Tage später entschuldigte sich der amerikanische Kommandeur für den Irrtum, Max war frei, diesmal endgültig.

Der Autor beschließt sein Buch mit folgenden Überlegungen: „Er dachte an alles, was ihm persönlich widerfahren war: in den Kellern der Gestapo, in den Gefängnissen und dem KZ ‚Neue Bremm‘; an die bestialischen Grausamkeiten, die sich eine Horde Verbrecher aus Sadismus ausgedacht hatte. Aber er dachte auch an die Lichtblicke, die es doch zeitweise gegeben hatte. Er stellte Vergleiche an, welche Seite wohl überwog. Es war eindeutig die grausame.“ (S. 214)

In einem kurzen Text auf der Buchrückseite informiert der Autor über die Intention seiner Veröffentlichung. Er wende sich dagegen, dass das deutsche und österreichische Volk pauschal als Mittäter und Mitwisser verdächtigt und verurteilt werde: „Diese Ungerechtigkeit veranlasste mich, einen Roman zu schreiben, der auf der zeitbezogenen autobiographischen Erzählung des Halbjuden ‚Max Heine‘ basiert.“

Rezensionen des Romans ließen sich nicht ermitteln. Ein Exemplar des Romans steht im Bestand der Leipziger Anne-Frank-Shoah-Bibliothek. Im Marbacher Literaturarchiv ist in den Unterlagen des Suhrkamp-Verlags ein Brief Mantels vom 11. Mai 1993 nachgewiesen, wahrscheinlich eine Anfrage nach einer Publikationsmöglichkeit in dem renommierten Verlag. Der (vermutlich ablehnende) Antwortbrief ist ebenfalls verzeichnet. Danach mag der Autor sehr bald auf den Offenburger Bezahlverlag ausgewichen sein, wo sein Manuskript noch im Oktober 1993 veröffentlicht wurde.

Es wäre ungerecht, Mantels Roman an üblichen literarischen Kriterien zu messen. Gleichwohl halte ich ihn aus zwei Gründen für bedeutend: Er zeichnet aus strikt autobiographischer Perspektive das Schicksal eines sogenannten Halbjuden in den Wirren der Nazizeit nach. Ein Schicksal, das eng verknüpft ist mit unserer Region, im Guten wie im Schlimmen.

Leider konnte ich keine Informationen über Arnold Mantels weiteren Lebensweg nach 1945 herausfinden. Auch seinen 1949 geborenen Sohn konnte ich weder in Österreich noch in Deutschland ermitteln. Heute bedauere ich sehr, nach seinem Brief vom Oktober 1998 keinen Kontakt zu Arnold Mantel aufgenommen und ihn auch nicht zu einer Radiosendung eingeladen zu haben.

Vermutlich wären die meisten Menschen nach solch schlimmen und unerträglichen Erlebnissen zusammengebrochen. Arnold Mantel aber schaffte es, zu überleben. Und es gelang ihm, das, was ihm nicht nur im Saarland angetan wurde, detailreich und anschaulich zu schildern. Sein Schicksal sollte nicht vergessen werden.

Vorheriges Kapitel

Levy, Gustav

Nächstes Kapitel

Marx, Karl