Kasel, Walter

Autor: Marcel Wainstock

Walter Kasel wurde am 19. Februar 1905 in Trier geboren. Er hatte 12 Geschwister. Zwei seiner älteren Brüder wurden nach ihrer Beteiligung am Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Zwei weitere Brüder fielen im Krieg für Deutschland. Einer davon sollte Rabbiner werden, deshalb erwarteten die Eltern nun von Walter, dass er diesbezüglich die Nachfolge antritt. Da er eine gute Stimme besaß, entschied er sich aber lieber für eine Kantorenlaufbahn. Nach Abschluss der Schulzeit besuchte er das Jüdische Lehrerseminar in Münster, welches unter der Leitung von Rabbiner Dr. Fritz-Leopold Steinthal geführt wurde. Es folgte eine Ausbildung zum Kantor in Kassel. Nach vier Jahren erfolgreicher Ausbildung und zwei Jahren unterschiedlicher Tätigkeiten wurde er 1929 an der jüdischen Volksschule in Krefeld engagiert. Walter Kasel war damals 24 Jahre alt. In Krefeld lernte er seine spätere Gefährtin und Ehefrau Ruth Anhalt kennen, die zehn Jahre jünger und damals erst 14 Jahre alt war.

1933 wurde er durch einen anonymen Anruf mit der Drohung, vom Schulhof verhaftet zu werden, zur Flucht gezwungen. Walter Kasel entschied, mit seiner Braut in Paris Schutz zu suchen.

Es begann nun für die beiden eine schwierige Zeit des Überlebens. Mit diversen kleinen Gelegenheitsarbeiten schlugen sie sich durch. Es wurden für ein paar Francs Fahrräder repariert, man sammelte leere Flaschen ein, um das Pfand zu kassieren, Ruth konnte gut nähen und verdiente damit etwas für die Haushaltskasse. Ruth und Walter hatten durch ihre Emigration die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Sie waren nun in Frankreich staatenlose Ausländer ohne Pass. Nach einiger Zeit wurde Walter Kasel in einer Pariser Gemeinde als Kantor zu den Hohen jüdischen Feiertagen angestellt.

Walter Kasel engagierte sich in der Fremdenlegion und kam nach Sidi Bel Abès im Nordwesten Algeriens nahe der Stadt Oran. Dort befand sich das Mutterhaus der Fremdenlegion. Hier lernte er einen weiteren deutschen Emigranten kennen, mit dem er sich anfreundete, den abstrakten Maler Hans Hartung, der sich zu jener Zeit auch als Freiwilliger bei der Fremdenlegion engagiert hatte.

Während dieser Zeit wurde Ruth einmal in Paris als Jüdin aufgegriffen und daraufhin im Lager Gurs interniert. Walter gelang es jedoch, sie als Uniformierter wieder aus dem Lager frei zu bekommen.

Nach der Besetzung eines Teils Frankreichs waren Walter Kasel und Ruth, wie damals alle Emigranten, Hals über Kopf in den noch unbesetzten Süden des Landes geflüchtet. In der Stadt Agen, wo schon ein Cousin von Walter Unterschlupf gefunden hatte, fand er durch Vermittlung eines dort versteckt lebenden italienischen Kommunisten Arbeit.

Am 7. Dezember 1941 erblickte hier die Tochter Karin das Licht der Welt. Sie erhielt nach dem in Frankreich geltenden Gesetz des „jus soli“, des Geburtsortsprinzips, sogleich die französische Staatsangehörigkeit, lange vor ihren Eltern. Diese heirateten erst um 1945 noch in Agen und verzogen dann nach Paris.

Eine Zeit lang hatte die junge Familie erwogen - wie damals sehr viele in vergleichbarer Lage - nach Palästina auszuwandern. Walter hatte speziell hierfür in Südfrankreich in einem Gärtnereibetrieb eine Ausbildung absolviert. Aber es stellte sich bald heraus, dass kein Schiff bereit war, ein Ehepaar mit einem kleinen Kind aufzunehmen, da das Baby, wenn es weinte, ein Sicherheitsrisiko für die ganze Belegschaft darstellte, die ja während der britischen Mandatszeit illegal einwanderte. So wurde der Palästina-Plan fallen gelassen.

Das Paar Walter und Ruth blieb zunächst weiter in Frankreich, um sich zu orientieren. Hier erfuhr Walter durch seine Schwester, Emmy Kaufmann, die Kontakte nach Saarbrücken hatte, dass hier eine jüdische Gemeinde wiedergegründet wurde und eine neue Synagoge gebaut werde. Walter bewarb sich daraufhin beim damaligen Vorsitzenden Alfred Levy und bekam die Stelle als Kantor, Religionslehrer und Seelsorger. Er kam 1947 nach Saarbrücken und trat die Stelle offiziell am 1. November 1948 an, die er bis Juni 1965 innehatte. Bis zum Bezug der Dienstwohnung im Gemeindehaus 1951 wohnte die Familie im ersten Stock eines Hauses Am Kieselhumes 47. Karin wurde in die „10ème“, der 2. Grundschulklasse des damals rein französischen Saarbrücker Marschall Ney Gymnasiums eingeschult.

Das bescheidene Gehalt ihres Ehemannes rundete Ruth Kasel in den ersten Jahren mit der Herstellung von Schürzen und Kitteln auf der häuslichen Nähmaschine etwas ab. Sie hatte mit ihren Nähkünsten ja schon während der Emigration zum Familieneinkommen beigetragen.

Walter Kasel war bei allen Kindern und Jugendlichen, die seinen Religionsunterricht besuchten, sehr beliebt – nicht zuletzt auch wegen der Theaterinszenierungen, die er mit ihnen zwei Mal jährlich für die Gemeindefeiern anlässlich Purim und Chanukka einübte.

So wie der Vorstandsvorsitzende Alfred Levy und der Vorsitzende der Repräsentanz, Rechtsanwalt Edouard Lehmann, damals in unermüdlichem ehrenamtlichem Einsatz nach außen die politische Präsenz der Gemeinde vorstellten, so waren nach innen Walter Kasel mit seiner Ehefrau Ruth und der hübschen sommersprossigen Tochter Karin damals für Jung und Alt der geistig-religiöse und seelsorgerische Mittelpunkt der Gemeinde.

Nachdem sich Walter Kasel als Kantor einige Jahre im Ruhestand befand, war er von 1982 bis 1988 stellvertretender Vorsitzender der Synagogengemeinde Saar. Er verstarb 1989 im Alter von 84 Jahren in Saarbrücken, wo er auf dem jüdischen Friedhof an der Goldenen Bremm seine letzte Ruhestätte fand.

Vorheriges Kapitel

  

Kahn, Lothar

Nächstes Kapitel

  

Lehmann, Eduard