Dr. Sender, Walter
Dr. Walter Sender wurde am 10. Mai 1885 in Tholey geboren, wo sein Vater als Lehrer an einer jüdischen Schule arbeitete. Nach seinem Jurastudium und der Teilnahme am Ersten Weltkrieg ließ er sich 1919 in Saarbrücken als Rechtsanwalt nieder. Gleichzeitig begann er seine politische Karriere. Als Mitglied der SPD wurde er 1922 Abgeordneter des Landesrates und Fraktionsvorsitzender seiner Partei. Aufgrund der geringen Befugnisse des Landesrates, die er vehement anprangerte und der in seinen Augen „politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vergewaltigung des Saargebietes“ durch die Verwaltung des Völkerbundes gab er den Fraktionsvorsitz ab und nahm ein Mandat im Saarbrücker Stadtrat an.
Als 1925 die ersten antisemitischen und nazistischen Schmierereien im Saargebiet auftauchten, war er einer der ersten, der vor den Gefahren des Nationalsozialismus warnte. Als Anwalt vertrat er dann ab 1933 zahlreiche der ins Saarland emigrierten Flüchtlinge in Rechtsstreitigkeiten gegen das nationalsozialistische Deutschland.
Nach dem Reichstagsbrand wollte er zusammen mit seinem Sozius Eduard Lehmann die beiden Kommunisten Ernst Torgler und Georgi Dimitroff, die von den Nazis für den Brand verantwortlich gemacht wurden, verteidigen. Ihnen wurde jedoch die Einreise nach Deutschland verweigert. Beide beteiligten sich dann an dem in London durchgeführten Gegenprozess, der damals eine Täterschaft der Nazis enthüllte.
Im Abstimmungskampf 1934/35 trat Sender für die Erhaltung des Status Quo ein.
Unmittelbar nach der Abstimmung verließ er mit seiner Familie das Saargebiet, lebte in der Nähe von Paris und versuchte sich eine Existenz als Parfümfabrikant aufzubauen. Sender nahm im Oktober 1935 die französische Staatsbürgerschaft an. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen zog er sich in ein Versteck in den Bergen in der Nähe von Nizza zurück, wo er mit seiner Familie den Krieg überlebte. Noch vor Kriegsende kehrte er nach Paris zurück und gründete dort die Bewegung zur Befreiung der Saar „Mouvement pour la libération de la Sarre“ (MLS).
Sender zählte zu den ersten Heimkehrern und nahm seine anwaltliche Tätigkeit zusammen mit Edouard Lehmann wieder auf. Seine Bewegung benannte er nun in „Mouvement pour la rattachement de la Sarre à la France“ - Bewegung für den Anschluss der Saar an Frankreich - um. Ihr gehörten zeitweise 50.000 Mitglieder an und sie genoss als einzige das volle Vertrauen des französischen Generalgouverneurs Grandval. Als sich die politische Lage jedoch anders entwickelte, zog er sich aus der Politik zurück und widmete sich wieder voll seiner juristischen Tätigkeit. Zunächst legte er seinen Schwerpunkt auf Restitutionsprozesse, später auf Familienstreitigkeiten. Nur einmal noch wagte er sich 1957 auf politisches Parkett mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das Verbot der KPD im Saarland. Sein Antrag wurde jedoch abgewiesen.
Der Jurist Sender setzte sich mit Witz und Ironie mit dem deutschen und saarländischen Justizwesen auseinander. Das im Humanitas-Verlag (Koblenz) 1952 erschienene Werk „Die entzauberte Göttin“ ist auch eine Anklage an braune Elitenkontinuität und mangelndes Schuldbewusstsein. Das im Verlag Karl Funk (Saarbrücken) 1957 erschienene Buch „Liebe, Ehe und Justiz“ mit Illustrationen von Peter Großkreuz ist ein Beweis für den besonderen Humor Senders verbunden mit einer Gesellschaftskritik, die auch die Verlogenheit kirchlicher Moralvorstellungen entlarvte.
Walter Sender starb am 29. August 1961 in Luzern in der Schweiz.
Am 19. Mai 2021 wurde in seinem Geburtsort Tholey vor dem jüdischen Friedhof eine Gedenkstele für ihn eingeweiht und der Platz nach ihm benannt.