Kahn, Lothar
Am 1. Juni 1922 wurde Lothar Kahn als Sohn des jüdischen Kaufmanns Gustav Kahn und seiner Frau in Rehlingen geboren. Ihm gelang eine beeindruckende Karriere als Professor an der Connecticut State University.
Nach der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 war die Familie am 4. Oktober 1935 in das luxemburgische Bettemburg emigriert. Dort blieb sie eineinhalb Jahre, bis sie am 7. Januar 1937 über Le Havre in die USA ausreiste. In seinen zweisprachig erschienenen Erinnerungen („Der Weg ins Exil – Erinnerungen eines Rehlingers; Exil from Rehlingen/Saar – Mit einem Vor- und Nachwort von D. D. Hook“, Saarbrücken 2001) schildert er die Veränderungen in seinem Geburtsort bereits kurz nach der Abstimmung:
„Am Tag blieb unser früher so belebtes Geschäft buchstäblich leer und die Lehrjungen vertrieben sich die Zeit mit Singen oder Kartenspielen, wobei nur manchmal ein unwissender oder wagemutiger Kunde ihre Muße störte. […] ‚Es tut uns leid‘, sagte dann ein Mann oder eine Frau, ‚aber wir können nicht mehr bei Ihnen kaufen. Sie haben uns gewarnt. Sie wissen ja, wie es ist.‘ Ja, wir wussten, wie es war, und meine Eltern wussten, wie der Druck der Nazis aussehen konnte. Deshalb waren sie den nächtlichen Besuchern für diese Geste dankbar, obwohl es nicht mehr als eine Geste war.“ (S.89)
Kahn beschreibt ausführlich die nach der Abstimmung eingetretenen Veränderungen an seiner Schule, die Demütigungen, die Beschimpfungen. Der Versuch der Eltern, das „große, düstere, solide gebaute Haus am Ufer der Saar“ (S. 97) zu verkaufen, war schwierig. Es erwarb schließlich ein ehemaliger preußischer Offizier, der allerdings die vereinbarten Raten zunächst nur reduziert, schließlich gar nicht mehr nach Luxemburg überwies.
„Und was war mit den Hunderten oder Tausenden von Mark an Außenständen? Schon als wir noch in Rehlingen waren, entdeckte mein Vater, dass viele treue Kunden plötzlich von dem wunderbaren ‚Führer‘ beeindruckt waren, der es ihnen erlaubte, ihre Schulden bei Juden nicht zurückzuzahlen. […] Es gab allerdings auch anständige Menschen, die sich weigerten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.“ (S. 99)
Im Jahr der Auswanderung feierte Lothar Kahn seine Bar Mizwa. „Mehrere Monate lang vor diesem Ereignis lernte ich, in einem Sprechgesang aus der Torah und der Haftorah vorzutragen, was mein Erwachsenwerden symbolisieren sollte.“ (S. 101). Kahn beendet seine Erinnerungen mit folgenden Worten:
„Obwohl ich erst 13 war, war ich am letzten Tag innerlich nervös und unruhig. Der Möbelwagen hielt vor dem Haus. Alles wurde hinausgetragen. Leute gingen vorbei und taten so, als ob sie nichts sähen, obwohl wir uns früher jahrelang gekannt hatten. Sie waren genauso unpolitisch wie wir. Aber die Politik in ihrer hässlichsten Form hatte sich zwischen sie und uns gedrängt, hatte jeden menschlichen Kontakt unmöglich gemacht. Wir fühlten uns alle erleichtert, hatten aber ein ungutes Gefühl, als der Möbelwagen sich endlich in Bewegung setzte. Wir fuhren hinter ihm her, um an der Grenze zwischen Luxemburg und dem Saargebiet für Fragen zur Verfügung zu stehen. Es wurde aber nicht viel gefragt. In jener Nacht schliefen wir unruhig, zum ersten Mal im Exil.“ (S. 107)
Lothar Kahn ist der Autor folgender Veröffentlichungen: „Intermediate conversational German“ (New York, 1963 und 1967²). „Conversational German one“ (Zusammen mit Donald Dwight Hook; New York, Cincinnati, Toronto, 1970). „Insight and action – The life and work of Lion Feuchtwanger“ (London, 1975). „Between two worlds - A cultural history of German-Jewish writers“ (Zusammen mit Donald Dwight Hook; Iowa, 1993). Außerdem einer Biographie des in Berlin geborenen jüdischen Dramatikers Michael Beer (1800-1833), einen Bruder des Komponisten Giacomo Meyerbeer. Dieser schrieb die Bühnenmusik zu dem Trauerspiel „Struensee“ seines Bruders. Beers bekanntestes, auch von Goethe geschätztes Stück ist das Trauerspiel „Der Paria“, uraufgeführt 1823 in Berlin, ein „Schmerzensschrei über die Pariastellung des Judentums“. Kahns Aufsatz ist veröffentlicht im Leo-Baeck-Yearbook, Jg. 12 (1967), S. 149-160.
Kahn starb am 22. Januar 1990 in Connecticut. Zwei Wochen vor seinem Tod bekam er die Nachricht, dass die Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität beschlossen hatte, ihm als Zeichen „akademischer Hochachtung“ die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Die Begründung lautete: „Sein letztes Buch ‚Between two worlds – A cultural history of German and Jewish writers‘ kennzeichnet sein literaturgeschichtliches Lebenswerk.“
Zur Erinnerung an Lothar Kahn trägt eine Schule in Rehlingen seinen Namen.